Montag, 13. Februar 2012

Einheit 3 - 4. Stunde: Perspektive I und Schattierung 7.2.12


Mit der 4. Stunde der Einheit 3 nähern wir uns allmählich schon dem Ende der Einheit, die sich mit den"Werkzeugen des Sehens" beschäftigte. 
Sie haben bisher erfahren, dass alles, was Sie in vorangegangenen Einheiten sozusagen intuitiv "geschenkt" bekommen haben, nun sauer erarbeitet werden muss. 

Zu der bewussten Wahrnehmung der Körperlichkeit der Gegenstände, deren Grundformen und Ausdehnung, die Sie auch noch mühsam messend ermitteln lernten, gesellen sich nun schlussendlich Konstruktionsregeln des Raumes, die Sie als Zeichner zumindest in groben Zügen kennen sollten.

Ich habe Ihnen eine sehr kurzgefasste Geschichte der Entwicklung der Perspektive bzw. deren Wiederentdeckung in der Renaissance gegeben und Sie bei näherem Interesse insbesondere auf Brunelleschi und Alberti hingewiesen, deren (Wieder-)Entdeckungen am Anfang des Kapitels der konstruierten Raumillusion stehen, die für lange Zeit die europäische Malerei und Zeichnung bestimmte.
(Wir werden im 2.Semester sehen, dass und wie die Kunst des 20.Jahrhunderts diese Konventionen in Frage stellte und andere Begriffe des Raums ermöglichte.)

Bitte machen Sie sich immer wieder bewusst, dass Sie als Zeichner mit Hilfe der Ihnen vorgestellten Konstruktionsmodelle eine Illusion von Raum in die Zweidimensionalität des Blattes bringen.
Für architektonische Konstruktionszeichnungen ist eine gewisse Präzision in der Anwendung dieser Konstruktionsmittel notwendig, als künstlerischer Zeichner brauchen Sie nur selten diese Art von Präzision in einer Zeichnung.
Wir begnügen uns also vorerst mit den ganz einfachen Grundregeln.

Mit anderen Worten: Prägen Sie sich vorerst nur die grundlegenden Elemente der Perspektivkonstruktion ein und beginnen Sie, zeichnend und häufig manchmal auch nur bewusst beobachtend diese Phänomene auf ihre Notwendigkeit für Ihre Arbeit hin abzuklopfen.

In der Regel genügen nach meiner Erfahrung einige wenige grundlegende Linien, um den Gegenständen auf Ihrem Blatt einen plausiblen Raum zu geben.


Zentralperspektive oder 1-Punkt-Perspektive:




In dieser Stunde haben Sie mit Hilfe einer zentral befestigten Schnur ein einfaches und praktisches Hilfsmittel kennengelernt, mit dem Sie sich schnell auf dem Blatt eine ZENTRALPERSPEKTIVE  so anlegen können, dass Sie alle notwendigen und zu einem zentralen Fluchtpunkt strebenden Gegenstände einzeichnen können. Auf grösseren Formaten oder einer Leinwand können Sie die Schnur auch mit etwas Pigmentstaub einfärben und mit einem sog. "Schnurschlag" schnell die wichtigsten Linien so anlegen, dass Sie alle weiteren Linien der Zeichnung daran orientieren können.

- Die Zentralperspektive heisst so, weil alle sich zum Horizont hin verkürzenden und "stürzenden" oder steigenden Linien zu einem zentral zu denkenden Punkt streben, wobei dieser Punkt nicht notwendig genau im Zentrum des Zeichenblatts liegen muss.

- Der Horizont liegt immer auf Ihrer Augenhöhe! Wichtig ist es also, sich zu merken, dass Sie auf Ihrem Zeichenblatt mit der Anlage der Horizontlinie und dem zentralen Punkt, zu dem alle verkürzten Linien laufen, die Augenhöhe des Betrachters festlegen und damit zugleich Ihren Standpunkt! 

- Die Zentralperspektive heisst manchmal auch Parallelperspektive, weil alle Vorderansichten der Objekte immer unverkürzt parallel zum vorderen Bildrand liegen, d.h. alle vertikalen und horizontalen Linien bleiben unverkürzt.




Links: 1-Punkt-Perspektive
Rechts: 2-Punkt-Perspektive

Die Form der 1-Punkt-Perspektivkonstruktion ist sehr einfach und hat eine gewisse Sogwirkung, die es so in der Natur selten zu beobachten gibt (gerade Bahngleise oder perfekt gerade Strassen zum Horizont zu, die es eigentlich so nur in Arizona zu sehen gibt...)


Bei Santa Rosa, AZ. Aus meinem Blog zu einem "Road Trip USA", 2008.

Dennoch wird diese Perspektive gerne eingesetzt, wenn eine besonders dramatische, irreale oder zwingende Bildgestaltung angestrebt wird (z.B. Manga-Comics, Dalis surreale Räume, frühe Renaissance Stadtveduten).


Warmups (Lockerungsübungen):

1) Als Auftakt für das modellierende Zeichnen in Hell/Dunkel, galt es an diesem Abend zwei Streifen auf einem grossen Zeichenblatt anzulegen und sorgfältig mit Hilfe einer sog. Kreuzschraffur Grauwerte zu üben. Für das gegenständliche Zeichnen in Licht und Schatten sind diese Übungen unerlässlich. Die Kreuzschraffur ist dabei eine klassiche Disziplin, die zuerst etwas stur und trocken erscheint, aber Sie werden sehen, wie variantenreich sie sein kann.

Schauen Sie sich zur Erläuterung und Anregung auch gerne einmal einen Meister der Kreuzschaffur an  - Giorgio MORANDI:


Aber vorerst genügte es, dass Sie den ersten Streifen als ein kontinuierliches Band von Schwarz (=viel Schraffur) nach Weiss (= leer, also wenig bis keine Schraffur) in unzähligen und ineinandergehenden Grauwerten und den zweiten Sreifen in 4 unterscheidbare Grauwerten  schraffierten.
Bitte vermeiden Sie vorläufig unbedingt, diese Übung in einer "malerischen" Manier (sog. Schummern) anzugehen, da Sie sich damit eher um die Erfahrung bringen, wie Sie die Grauwerte gezielt und treffsicher Schicht für Schicht aufbauen und vor allem künstlerisch kontrolliert einsetzen können. Das Schummern ist auf den ersten Blick zwar schneller und scheinbar einfacher, lässt sich aber auf lange Sicht nicht gezielt und kontrolliert einsetzen und wirkt so gerne eher etwas fleckig, unschön und irgendwie "unprofessionell"...



2) Im zweiten Warmup haben Sie diese Fertigkeit der Grauwertzeichnung eingesetzt, um "Schlimme Würfel" zu zeichnen.

Auf mittelgrau getöntem Grund haben Sie mit schwarz (Grafit, Kohle etc.) und Weiss (Kreide, Farbstift etc.) deformierte Kuben gezeichnet, die Ihnen vor Augen führen sollten, dass auch ohne präzise Raumkonstruktion ein plausibler und starker Eindruck von Dreidimensionalität herzustellen ist.







Die folgende Übung bereitet Ihre Beobachtung und Aufmerksamkeit auf die Wunder des Raumes vor:

Mit Hilfe einer Acrylglasplatte können Sie überall und jederzeit erforschen, wie sich Horizont, Fluchtpunkte und Ihre jeweilige Position zueinander verhalten. 
Sie haben hoffentlich schon beobachtet und gesehen, dass der Horizont "irgendwo weit hinten in Nagold und weiter" liegt und dass sich das Bild bzw. die Fluchtpunkte, Kanten und Linien des Raumes vor Ihren Augen auf der in Ihren Blick gehaltenen Platte mit jeder Ihrer Bewegungen verändern. Was merkwürdig ist. Im Wortsinne.
Diese Übung kann man an jedem Fenster machen. Arbeiten Sie mit einem abwischbaren Filzstift, um sich Markierungen zu setzen und zu vergleichen.

Was Sie dabei lernen können: Sie sind der Boss - was den Standpunkt anbelangt, dem der Betrachter Ihres von Ihnen konstruierten Zeichenraumes folgen muss - was zugleich Stärke und Schwäche dieses (Kultur-)Konstruktes "Perspektive" ist. Auch das sollte zu Denken geben. Es gibt Modelle des Raumes, die dieser illusionistischen Guckkasten-Bühnenarchitektur nicht unterworfen sind, wie wir sie in der Kunst Japans und Chinas feststellen können.


Bücher dazu:

Simpel und praktisch, das Wesentliche:
Giovanni Givardi,
Landschaften und Perspektiven
Wien 2007

Ausführlicher, spielerischer, etwas altbacken, aber ganz lustig:
Hugo Peters
Der Äugel - Die Kunst des räumlichen Zeichnens
1964, Neuauflage 2001

(Fast zu) Ausführlich:
Henk Rotgans
Räumliches Zeichnen
Freiburg 2009

Wer sich für die klassische Anwendung des modellierenden Zeichnens interessiert:
Juliette Aristides
Classical Drawing Atelier
New York 2006
(Gibt es leider nur in englisch)

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