Sonntag, 8. Juli 2012

Teil 3 - Menschen zeichnen (I und II) - 26.6. und 3.7.12

Menschen zeichnen , Teile 1 und 2:


Teil 1, Grössenverhältnisse und Aufbau - 26.6.12:

In der ersten Sitzung am 26.6. haben wir uns zuerst einmal versucht, uns damit vertraut zu machen, wie wir mit einfachsten Mitteln an das Problem der Proportionen und das Sehen und Betrachten von Menschen herangehen können.

Wir haben bewusst auf Abbildungen und Spiegel, ja sogar auf irgendwelche Messwerkzeuge verzichtet und nur mit dem gearbeitet, was wir immer mit uns tragen. 
In den folgenden Stunden wird es darum gehen, die einfachen Werkzeuge Augenmass und die Vergleichsgrössen am eigenen Körper (Hand, Finger, Daumen) sinnvoll als Zeichenhilfen einzusetzen.

In der ersten Annäherung an die realen Verhältnisse an einem menschlichen Kopf geht es in erster Linie darum, alle symbolischen Voreinschätzungen und in unseren Sehgewohnheiten begründeten Fehlurteile wahrzunehmen und einige nüchterne Beobachtungen zu machen.

Im ersten Schritt gilt es, die Form des Kopfes zu erfassen. Sehr schnell wird klar, dass wir mit der herkömmlichen Vorstellung von einem irgendwie deformierten Ball oder Ei nicht wirklich sehr weit kommen. Zu unserer Überraschung konnten wir gemeinsam ermitteln, dass eine erstaunlich langgestreckte und kistenförmige Form, allerdings da und dort durchaus gerundet, der Realität eher nahe kommt. Ohne auf Details wie Augen, Nase, Mund, Ohren, Haare etc. zu achten, galt es nun mit den einfachsten Mitteln das grundlegende Verhälnis von Höhe zu Breite zu ermitteln und die wichtigsten Achsen zu erkennen, auf denen wir später die Einzelheiten des Kopfes finden.

Aufgabe: Wir zeichnen einen Kopf alleine nur mit Hilfe unserer linken Hand als Messwerkzeug und ermitteln so die wichtigsten Abstände und Achsen, die unser Aussehen bestimmen.
("Total blindes Selbstportrait"....sozusagen)
Es geht in den folgenden Übungen und Zeichnungen zuerst einmal nicht um Genauigkeit, sondern im Wortsinn um ein Gefühl für die Grössenverhältnisse!

Schritt 1:
Wir ermitteln mit unserer linken Hand die maximale Breite unseres Kopfes, die wir in der Regel etwas unterhalb des Scheitels im Hinterkopfbereich erfühlen können (wer es genau wissen will: Nähe des Übergangs von Schläfenbein -os temporale- zum Scheitelbein -os parietale- , siehe Abbildung, oder einfacher gesagt, die Beulen, die man links und rechts hinten ertasten kann).





Dieses Mass nehmen wir als Ausgangsbreite für unsere Zeichnung. 
Wichtig: Alle anderen Maße und Verhältnisse ergeben sich aus diesem, deshalb ist es ratsam, sich hierfür etwas Zeit zu nehmen und einigermassen sorgfältig zu messen.

Wie wir gleich feststellen konnten, finden wir aber für die Höhe des Kopfes keine Vergleichsgrösse, da wir diese zum einen nicht mit einer Hand greifen können, zum anderen erfassen (!) wir ohne Vergleichs- und Hilfsmittel wie Massband, Spiegel, Proportionszirkel etc. diesen Abstand nicht.

Mit einer Hilfskonstruktion lösen wir das Problem in 
Schritt 2:
Wenn Sie das soeben ermittelte Breitenmass gefunden haben und von der Kinnspitze aus nach oben anlegen, werden Sie erstaunt feststellen, dass man damit gar nicht irgendwo landet, sondern in aller Regel auf einer markanten Achse: Dem Übergang von der Stirn zum eigentlichen Gesichtsbereich - also auf der Brauenlinie!

Wir zeichnen demnach ein QUADRAT aus dem Breitenmass im unteren Bereich des Zeichenblattes als Basis des Kopfes.
Aus der Hand ein Quadrat zu zeichnen, muss geübt werden, man darf allerdings durchaus seine Hand oder einen Stift als Hilfsmittel einsetzen oder einen Stab, eine Schnur, wie ich es demonstriert habe.
Aber bitte daran denken: Nicht übergenau maschinenbauermäßig denken!


Dieses Quadrat halbieren wir vertikal und horizontal.


Nun gibt es 2 Wege, aus diesem Quadrat die aufrechte Rechteckform zu entwickeln, die ungefähr den Verhältnissen am Kopf entspricht.

Die eine Möglichkeit fusst auf der Vorstellung eines sog. "Goldenen Schnitts", den wir in der nächsten Stunde zu ermitteln und zeichnen lernen.

In dieser Stunde nutzen wir eine praktische und einfache Regel, indem wir eine Quadrathälfte nach oben hinzufügen, sodass wir drei gleiche Teile erhalten. Und dazu addieren wir noch "ein bisschen". Dass dieses Bisschen unbestimmt ist, soll uns jetzt nicht weiter beunruhigen, in aller Regel kommt man mit dieser einfachen Aufteilung und etwas Gefühl, Augenmass und Beobachtungsgabe hin.

Resultat: HÖHE des Kopfes = "3 gleiche Teile und ein bisschen" 

Die ermittelte Relation von Höhe und Breite mag einem auf den ersten Blick irgendwie falsch vorkommen, aber wie wir später feststellen konnten, ist dieses gestreckte Rechteck tatsächlich den realen Gegebenheiten sehr viel näher als die zu Beginn der Stunde an der Tafel spontan gezeichneten Verhältnisse, die "aus dem Bauch" ermittelt wurden. Wir sprachen über die in unserer Wahrnehmungsgeschichte und Psychologie begründeten Vorurteile, die hier zu Fehleinschätzungen führen ("Fixierung" auf die anziehenden, bewegten Gesichtsteile Auge und Mund, während in der Regel in der Zeichnung aus dem Bauch heraus oft keine Stirn und kein Kinnbereich dargestellt wird!).

Wenn Sie die ermittelte Relation beim Zeichnen von Köpfen verinnerlichen, ist das schon die halbe Miete, wenn es um einigermassen wirklichkeitsgetreues Abbilden geht - was ja unser vorläufiges Ziel ist...
(Nebenbei, um etwaigen kunstpädagogischen Grabenkriegen hier gleich vorzubeugen: Man darf auch voraussetzunglos aus dem Bauch heraus und ohne Messen und Wissen Menschen zeichnen, wie man will - aber hier war die Fragestellung, wie man zu wirklichkeitsnahen Beobachtungen und Darstellungen kommt...)


Schritt 3:
Die untere Linie des Basisquadrats bezeichnet die Kinnlinie.
Mit der Oberkante des Basisquadrats haben wir gleichzeitig eine wichtige Achse ermittelt: Die Brauenlinie. Mit der Brauenlinie erhalten wir einen ersten Hinweis auf die wirkliche Lage der Augen - darunter natürlich! Wo aber genau sind die Augen?

Wenn Sie das Rechteck aus den 3 Quadrathälften+ein bisschen gezeichnet haben, halbieren Sie das Rechteck horizontal. Sie erhalten die Augenlinie, auf der die Pupillen später aufliegen. Vorerst aber zeichnen Sie bitte auf keinen Fall die Augen ein..!


Wir haben bisher mit diesen einfachen Schritten die grundlegenden und wichtigsten Verhältnisse geklärt und folgende Achsen ermittelt:
- Die Breite und Höhe.
- Die Breite ist die Strecke am os parietale/os temporale, also oben am Kopf.
- Die Höhe ist die Strecke von Kinn zu Scheitel (=3 Quadrathälften+Bissiwas)
- Die Brauenlinie (Oberkante Basisquadrat), BL
- Die Augenlinie (Mitte von Scheitel-Kinn-Linie), AL
- Der untere Nasenansatz liegt auf der Quadratmitte (NL), der obere Nasenansatz auf der Brauenlinie.
- Die wichtige vertikale Mittelachse des Gesichts, die eine Symmetrieachse ist.

Dass die Augenlinie ziemlich genau auf der Mitte liegt, dürfte die überraschendste Erkenntnis sein, unsere spontane Wahrnehmung trügt hier am meisten!

Ich habe kurz erläutert, wie die computergestützte Blickanalyse in sog. "Eyetrackern" (= Geräte, die die Augenbewegung und deren Spuren erfassen), den Nachweis führt, dass die alte Maler-/Zeichnerregel vom sog. Goldenen Dreieck" in unserer Kopfmitte gültig ist.
Daß unsere Blicke beim Betrachten des Gegenüber konstant hüpfen und dauernd die Elemente des Kopfes abwandern, ist ein weiteres interessantes Resultat dieser Versuche. Wenn man nur die Spur der Augenbewegung aufzeichnet, ergibt sich dieses Goldene Dreieck aus den aufgezeichneten Spuren, d.h. wir schauen im Schwerpunkt dort hin, unablässig wandernd und vergleichen gelegentlich die Lage der Zone mit den Rändern und den übrigen Informationen.
Das dauernd zuckende, scannende Schauen nennt sich "Saccaden" (Wikipedia: Augenbewegung)

Wie wir dieses seit Jahrhunderten bekannte und in manchen Anleitungen seit der Renaissance beschriebene gleichseitige Dreieck ermitteln können folgt in 
Schritt 4:

Wir teilen die Brauenlinie in 5 gleiche Teile und markieren auf der darunter liegenden Augenlinie die Teile, die die Lage der Augäpfel angeben.



(Nebenbei: 5 x Durchmesser Augapfel = Kopfbreite. So kann man das auch angehen. Und wenn man feststellt, dass die durchschnittliche maximale Breite des Daumens mit ca. 2,5 cm - 1 inch - ungefähr dem Augapfeldurchmesser entspricht, hat man ein immer verfügbares Grundmaß dabei, wenn man mal schnell eine ungefähr real grosse Kopfzeichnung anlegen will...)


Die äusseren Schnittpunkte auf der Augenlinie markieren die Lage der Augenaussenwinkel, die leicht schräg etwas oberhalb der Augenlinie liegen!

Diese Strecke tragen wir nach unten auf die Mittelachse ein, sodass wir ein gleichseitiges Dreieck von den äußeren Augenwinkeln und einem Punkt unterhalb des unteren Nasenansatzes erhalten.
Dieser Punkt markiert ungefähr die Lage der Mitte des Unterlippenrandes.


Voila! Damit haben wir das heutige Ziel erreicht Wir haben die Grundanlage der Verhältnisse am Kopf und das für unsere Aufmerksamkeit so bedeutende Gesichtszentrum aus einfachen Beobachtungen selbst re-konstruiert und haben nun ein einfaches Modell für unsere Beobachtungen an real existierenden Köpfen von Menschen.

Ich möchte noch einmal betonen, dass es sich hier um eine Anleitung zur Beobachtung handelt und nicht um eine Maschinenbauanleitung! Bitte erliegen Sie nicht der Vorstellung, mit diesem Plan einen Kopf konstruieren zu können, ohne auf die Realität des Gegenüber achten zu müssen. Im Gegenteil: Sie werden, je komplexer diese Beobachtungsanleitung wird, immer klarer feststellen, dass kaum etwas davon so in der Wirklichkeit existiert, sondern in Wahrheit alles davon mehr oder weniger stark abweicht - und genau darum geht es: Mit dieser Anleitung zum HINSCHAUEN erhalten Sie die Möglichkeit, das real Existierende im Vergleich zu beschreiben. Das ist beim Zeichnen von Portraits, bis hin zur Karikatur eine gute Hilfe - mehr nicht!


Übungen des Abends:

1) Memorieren Sie diese Grundlagen durch häufiges Zeichnen aus dem Kopf, nehmen Sie dafür nur ihre Hände als Hilfsmittel und vergleichen Sie, welche reale Grössen begreifbar und beobachtbar sind (etwa: Halten Sie einmal ihre ganze Hand vor das Gesicht und bemerken Sie die Dimensionen im Vergleich, z.B. wie viel vom Kopf flächenmässig tatsächlich nur Gesicht ist und wie gross der ganze Rest. Vergleichen Sie die Hand mit dem Kopf usw....)
Aufgabe: Total blindes Selbstportrait nur aus den Informationen, die Sie mit Händen erfassen können.

2) "Saccadisches Portrait" - Zeichnen Sie mit den ermittelten Grundinformationen leicht das Proportionenraster und kritzeln Sie darüber locker und frei, vor allem, OHNE die Details von Auge, Nase, Mund und Ohren. Umwandern sie mit kritzelndem Duktus nur ungefähr die Lage, wo Sie vermuten, dass die Details sind. Stellen Sie so beim Zeichnen die geschilderte Prozedur des "saccadischen Sehens" nach, indem Sie mit dem Stift hin- und herzuckend, -springend zunehmend das Zentrum der Aufmerksamkeit umkreisen und so ein Gesicht aus der Augenbewegung formen.
Die Beispiele aus Daucher dazu können Sie als Anregung nehmen.






Teil 2, Binnenstruktur - 3.7.12:

Zu Beginn der zweiten Stunde des 3.Teiles haben wir die Grundmaße der Vorderansicht eines Menschen noch einmal konstruiert, um uns die wichtigsten Merkmale des Gesichts in ihrem Zusammenhang einzuprägen.

Ich sehe meine Aufgabe im Moment eher wie ein Reiseführer oder Tourguide, der Ihnen in der Vorbereitung einer Reise auf einer Karte erst einmal zu erklären versucht, wo etwas in etwa liegt und wohin Sie schauen müssen, wenn Sie etwas sehen wollen. Ich erkläre Ihnen also noch nicht, was im Einzelnen Sie da sehen, was es damit auf sich hat und was es bedeutet!
Sie dürften in diesem Kurs schon gelernt haben: Man sieht nur, was man weiss!




Das Stichwort "Zusammenhang" ist mir hier besonders wichtig. In diesem Auftakt zum Menschenzeichnen geht es mir zunächst nicht darum, dass Sie sofort realistische Gesichter zeichnen lernen (das kommt noch!), sondern dass Sie zuerst Gesichter SEHEN lernen!

Wenn ich Ihnen bisher und in den kommenden Stunden die Grundkonstruktion eines Gesichtes demonstriere, möchte ich Ihnen eigentlich in erster Linie zeigen, welche Blickachsen durch ein Gesicht ziehen, entlang derer Sie beurteilen lernen, was gerade für Ihre Zeichnung wichtig ist und welche Teile des Gesichts einen Zusammenhang bilden.
Nur so können Sie mit der Zeit stimmige Gesichter aus der Hand und mit wenigen Hilfsmitteln und Linien entwickeln. Als Anfänger tendiert man nämlich spontan dazu, alle Elemente jeweils für sich allein zu zeichnen und vergisst dabei völlig das Zusammenspiel - das aber eigentlich viel wichtiger ist.

Die erste Stunde führte Ihnen vor, wie man ein einigermassen stimmiges Verhältnis von Höhe und Breite als Grundlage anlegt, die folgende Merkmale festhält:

- Die vertikale Mittelachse, auf der der Scheitel und der Kinnpunkt liegen.

- Die horizontale Mittelachse, auf der die Augenpupillen aufliegen.

- Die Brauenlinie.

- Der untere Nasenansatz im Zentrum des Quadrats.

- Das "Goldene Dreieck" des Gesichtszentrums.


In dieser Stunde haben wir uns mit der recht komplexen Binnenstruktur befasst..

Ich mache Ihnen folgenden Vorschlag:

Wer diese Anlage zu Hause nicht mehr hingekriegt hat - keine Panik! Wir machen das noch einmal zusammen in der nächsten Stunde. Wiederholen ist das ganze Geheimnis, sowieso, immer...

Allgemein muss ich noch sagen: Alles, was ich Ihnen in dem Zusammenhang zeige, muss man sich dauernd übend einprägen, wie Tonleiterübungen. Wobei es nur ganz am Anfang sinnvoll ist, sich den "Bauplan"konstruierend anzueignen. Es ist viel wichtiger, anhand realer Gesichter oder mit Hilfe eines Spiegels am eigenen Gesicht alle diese Linien und Achsen sehen zu lernen und sie mit vielen skizzierenden Handzeichnungen im Zusammenhang festzuhalten.

1 Das wichtigste Element, das Sie im nächsten Schritt einigermassen stimmig zeichnen sollten, ist die 5-Teilung der Brauenlinie. Jeder dieser Teile entspricht der Grösse eines (sichtbaren) Auges. Insbesondere sollten Sie sehen, dass der Abstand zwischen den inneren Augenwinkeln in etwa einem Auge entspricht. Dieser Abstand ist wichtig zu sehen und in der Zeichnung festzuhalten, da hier die häufigsten Zeichen- und Beobachtungsfehler gemacht werden.

2 Die äusseren Augenwinkel, etwas oberhalb der Augenlinie markiert, ergeben eine gedachte Linie, die Sie nach unten auf die Mittelachse des Gesichts radial auftragen.
Sie erhalten das sog. Goldenen Dreieck, ein gleichseitiges Dreieck, an dessen unteren Ende der untere Bogen der Unterlippe aufliegt.

3 Die inneren Augenwinkel projezieren Sie lotrecht, also vertikal auf die Nasenlinie. Sie erhalten die Grenzen der Nasenflügel.

4 Die äusseren Augenwinkel werden mit dem gerade erhaltenen Nasenflügelpunkt verbunden. Nach unten auf die Mittelachse durchgezogen, erhalten Sie die obere Grenze der Oberlippe. Sie sehen, dass diese Region zwischen Nase und Oberlippe besonders geformt ist. Diese Struktur heisst das "Philtrum"
Nach oben auf die Brauenlinie projeziert, erhalten Sie die äussere Grenze des Brauenbogens (so etwas lernen Sie z.B. in Schminkanleitungen...)

5 Die Nase reicht von der Brauenlinie bis zum unteren Nasenansatz.

6 Die gleiche Höhe haben die Ohren, die seitlich schräg markiert werden. Die konkrete Form der Ohren ist sehr individuell und nicht wirklich in einem allgemeinen Maß oder Plan festzuhalten.

7 Zeichnen Sie innere und äussere Augenwinkel bitte leicht schräg nach innen auf die Augenlinie abfallend, die Pupille markieren wir nur mit dem Mittelpunkt etwas oberhalb der Augenlinie.

8 Diese Pupillenzentren (+ halber Irisdurchmesser) projezieren Sie an der gedachten inneren Iris vertikal/lotrecht auf eine gedachte Linie, die Sie zwischen oberen und unteren Lippenbegrenzungen horizontal zeichnen (Mundöffnung).
Sie erhalten die annähernde Lage der Mundwinkel.

Behalten Sie die Linie der mutmasslichen Mundöffnung im Auge. Auf ihr liegt auch noch der äußere Punkt der Unterkieferbreite (gonion = Meßpunkt am Unterkieferwinkel, der am meisten nach unten, hinten u. außen gerichtet ist.) - ein wichtiges Mass bzw. Merkmal der Beobachtung beim Portraitzeichnen.

So weit sollte es vorläufig genügen.





(Leider nur in englisch auf dem Markt)


Hausaufgabe:

SEHEN lernen. Und nochmal: Sehen lernen.
Prägen Sie sich die "Wanderkarte" oben gut ein, indem Sie sie wieder und wieder aus dem Kopf und freihändig zeichnen. Üben Sie, die bisher ermittelten Zusammenhänge zu skribbeln - nicht so sehr maschinenbauartig zu konstruieren. Es kommt hier auf eine Art "freie" Genauigkeit an und nicht so sehr auf eine Übergenauigkeit wie auf dem Reissbrett.

Schauen Sie sich allerlei Gesichter genau an, schauen Sie in den Spiegel und überprüfen Sie das gerade Gelernte.

Sehen Sie, dass die realen Gesichter in der freien Wildbahn etliche Variationen zu bieten haben, dass Sie als Zeichner aber entdecken, dass diese Varianten mitunter auch sehr subtil sein können. Dass diese Subtilitäten den Unterschied und das Individuelle ausmachen, auf das wir beim Portraitzeichnen hinauswollen. Sie arbeiten vorerst zwar an einem allgemeinen "Musterkopf", der keinem realen Menschen gleicht, der Ihnen aber den Blick für das Eigentümliche des zu Portraitierenden schärfen hilft.


Samstag, 24. März 2012

Fläche, Komposition, Stilleben - Sachzeichnen und Experiment - 20.3.12

Folgende Folien habe ich am 20.3.12 vorgestellt:
(Zum Vergrössern bitte auf die jeweilige Abbildung klicken!)

Für eilige Leser reichen die Informationen auf den Präsentationsfolien.
Ich werde es künftig so halten, dass ich meine Unterrichtsfolien zu jedem Kapitel möglichst gleich nach dem Unterricht hier veröffentliche und dann im Laufe der Woche mit weiteren Texten und Links versehe.
Wer keine Zeit und Geduld für die Erläuterungen hat, kann sich nur mit den Folien allein einen schnellen Überblick verschaffen.

Folie 1 - Intro:

Folie 2 - Kurze Skizze zu Kreativität:


Jeder künstlerische Prozess versucht eine Balance zwischen sachlicher Disziplin, Handwerk, Wissen einerseits und andererseits einer risikobereiten Offenheit für selbstvergessenes Spiel und Experiment zu leisten.
Ich habe festgestellt (und lerne also auch weiterhin in der Zusammenarbeit mit Ihnen), dass der Begriff des Spiels nicht selbstverständlich und als Handlung für Erwachsene schon gar nicht so leicht umzusetzen ist.

Man muss das Spielen auch erst üben...sich erlauben, zulassen...

Es kann - nein soll sogar - beim Spielen mit den Materialien und den künstlerischen Formen durchaus unordentlich, wild, chaotisch, mitunter sinnfrei und absurd zugehen - letztlich aber ist unsere Wahrnehmung gerade dann am wachsten, wenn unbekannte Strukturen, Phänomene, Formen vor unseren Augen "geschehen". Das darf auch gerne mal ratlos machen - was ein guter Ansatz für die Kreativität ist, denn sie kommt gern aus dem Offenen und dem Nichts. Und darum geht es. 
In dem Moment, in dem Sie als Spieler die scheinbar "zufälligen" Ereignisse und Begegnungen herstellen und arrangieren, steuern Sie sowieso mehr oder weniger bewusst das Geschehen.
Ziel der Übung des Spielens ist es also, den ausgetretenen Pfad Ihrer Vor-einstellungen, Vor-stellungen, Vorurteile (d.h. das, was ich den übermächtigen inneren Controlletti oder die Antizipation nenne) zu verlassen und sich als experimentierender Beobachter mit Neugier dem aussetzen, was durch die von Ihnen selbst aufgestellte und dauernd wechselnde Spielregel da gerade vor Ihren Augen geschieht.

Im besten Fall erleben Sie für Sie neue Möglichkeiten der Materialien und Formen, die Sie dann in organisierterer Form bewusst für Ihre geplanten Arbeiten einsetzen können. Das ist der Sinn und Zweck der Übung. Sie erweitert nach und nach Ihren Horizont.
Sie sind als Beobachter Ihrer Erfahrungen gefragt. So entwickelt sich nach und nach Ihr Repertoire.
Sie sollten nur darauf achten, nicht immer nur bei Spiel und Experiment stehen zu bleiben, sondern nutzen Sie möglichst bald das Erlebte und fangen Sie an, damit zu formen und gestalten. Prozess und Produkt.




Folie 3 - Werkzeuge des Sachzeichnens:


Im Nachklapp zu vorangegangenen Auseinandersetzungen mit dem Zeichnen der Dinge um Sie herum, wollte ich Ihnen mit der Demonstration am Beispiel eines einfachen Objektes zeigen, wie Sie dabei ganz systematisch der Reihe nach die Aspekte des Körperlichen, die wir in Zeichnen 1 / Einheit 3 kennenlernten, anwenden können - und dabei frei sind in der Wahl, welchen Aspekt Sie bei einem jeweiligen Thema betonen, was der Gegenstand oft geradezu aufnötigt (z.B. Reflektionen und Transparenz bei Glas, Stofflichkeit in Licht und Schatten bei Tuch, Papierknäuel etc).



Zur Erinnerung, die Aspekte sind:


F - Format (Komposition, Notan)
M - Messen, Grössenverhältnisse, Proportionen
P - Perspektive,
Ü - Überschneidungen, Grundfiguren
K - Konturen,
V - Volumen, 
L - Licht/Schatten, Textur




 Folie 4 - Demo: Vom Sachzeichnen zur freien Zeichnung:
Am Beispiel einer Glasflasche habe ich Ihnen vorgestellt, wie man Schritt für Schritt vorgehen kann - aber auch nicht muss.

1) Die Übung der Notans sollte Ihnen in der Vorbereitung durch mehrfaches Durchspielen der möglichen Formate und Platzierungen ein Werkzeug an die Hand geben, schnell und unaufwändig eine interessante Komposition in "Daumennagelgrösse" zu erstellen.
Die beste Lösung skizzieren Sie danach in etwas grösserem Massstab.

2) Nachdem Grösse und Format der Zeichnung feststehen, legen sie mit zarten Strichen eine erste sehr grob umrissene Komposition auf dem Zielformat fest.

3) Messend und vergleichend umreissen Sie mit zarten Strichen die Grössenverhältnisse der gewählten Gegenstände und tragen zart die Grundkörperformen, Überschneidungen und die wesentlichen, der Perspektive folgende Modellierungen der Formen ein (z.B. zarte Ellipsen, die das Volumen des Glases beschreiben).

4) Ist die grundsätzliche Anlage der Zeichnung einigermassen stimmig, sollten Sie nun präzisere Beobachtungen an der Kontur der Objekte eintragen. Sie haben gelernt, dass das Auge sehr empfindlich auf auch nur angedeutete Überschneidungen und Verkürzungen reagiert und bei sorgfältigem Einzeichnen mitunter nur ein paar richtig gesetzte Elemente völlig überzeugend genügen. Hier entwickelt sich nach und nach die Kunst des Weglassens, die das Wesentliche im Auge hat. (Sie werden nie und nimmer ein Photoapparat, dem jede Stelle des Objekts gleich gültig ist...- und sollten das auch nie anstreben!).

5) Jetzt erst, wenn das ganze Zeichengerüst geklärt ist, stürzen Sie sich auf Ihren persönlichen "Plot", das Drama, das Sie mit dem Objekt als wichtig empfinden und über das Sie mit Ihrer Zeichnung Bericht geben wollen.
Hier beobachten Sie an einer besonders überzeugenden Stelle, wie das Licht durch den Glaskörper fällt und alle Gegenstände hinter dem Objekt verzerrt werden, wie der Schatten fällt, wo überall Reflexe sind, welche wichtig, welche Nebensache sind usw.


Abschliessend zeigte ich Ihnen kurz, wie man mit einer mutigen und scheinbar willkürlichen Auswahl und Reduktion aus den bekannten Elementen etwas Neues mit eigener Gesetzlichkeit schaffen kann. Dieses Vorgehen stellte ich Ihnen anhand von Arbeiten vom Beginn des 20.Jahrhunderts der Maler und Zeichner Picasso, Braque und Juan Gris vor.

Ein schöpferischer, aber riskanter Befreiungsakt. Das Risiko dabei: Es kann manchmal auch nur Stuss und Wirres herauskommen, man kann sich verfahren und Bilder ohne Ergebnis zu Tode zeichnen - aber gerade das gehört zum kreativen Arbeiten! So entsteht künstlerische Erfahrung und vor allem Urteilsvermögen. Wie fast immer und überall auch hier nur durch häufigen Versuch, Irrtum und die richtigen Schlüsse daraus. 
Das ist der Sinn von Übung.



 Folie 5 - Inspiration: Analytischer Kubismus:
In einem sehr kurzen kunsthistorischen Abriss zur analytischen Phase des Kubismus
habe ich Ihnen hoffentlich eine Anregung geben können, wie Sie mit dem Material Ihrer spielerischen Experimente und der Herangehensweise des Sachstudiums eigene Lösungen entwickeln können.
Geleitet werden sollten Sie dabei durch den Ausspruch Cézannes, dass sich alles, was es zu sehen gibt, durch die Reduktion auf die Grundkörper Kugel, Kegel, Quader, Zylinder darstellen lässt. Und dass der Standpunkt von Betrachter und Produzent ziemlich relativ und unbestimmt sein kann.
(Wichtige Vertreter: Picasso, Braque, Gris)



Folie 6 - Praxis: 
1) Ein Thema des Abends war es, das Spielen zu lernen.

Das erste Warmup galt dem Material, das ich Ihnen in sehr verschiedenen Zuständen zur Verfügung stellte. 
Kohle als Pigment, als rußiges Holzkohle-Stäbchen, als gepresster Eisenoxid-Block, als in Holz gefasster Stift.
Dazu Knetgummi, andere Radierer, Wischer, Tücher, Papiertücher, Schablonen.

Wenn Sie das Thema der Schwärze faszinieren sollte, machen Sie weitere Experimente mit anderen Schwarz- und Anthrazit-Pigmenten wie Rebenschwarz, Elfenbeinschwarz, Eisenoxide, Lampenruß etc.
Schwarz ist nicht gleich Schwarz. Der Zeichner und Grafiker entwickelt ein besonderes Verhältnis zu den Farben des Schwarz.

Das Material Kohle ist das älteste Zeichenmaterial und relativ leicht und intuitiv zu verwenden.

Versuchen Sie alles, was Ihnen einfällt: Wischen, ausradieren mit Knetgummi, auf feuchtem Papier, auf verschiedenen Papiersorten, mit Tuch, Papier oder Wischer behandelt, mit Fingern, mit Pappen aufgetragen, über Schablone gewischt usw.

2) Von einem traditionellen Entwurf oder einer einfachen Sachzeichnung eines Gegenstandes ausgehend, sollten Sie Elemente dessen, was Sie im Spiel entwickelt haben, für eine Andeutung eines konventionellen Stillebens einsetzen.

3) Mit all diesen Erfahrungen und den Informationen zum Kubismus im Hinterkopf, sollten Sie nun ein eigenes Werk im Geist des analytischen Kubismus anfertigen, das Ihre Spielergebnisse, die Ergebnisse des Sachstudiums sowie Ihre zunehmende kompositorische Freiheit vorführen. 






 Folie 7 - Beispiels:




Ergebnisse:



Sonntag, 18. März 2012

Fläche, Komposition, Stilleben - Spieleabend - 13.3.12


Spieleabend






Folgende Folien habe ich am 13.3.12 vorgestellt:
(Zum Vergrössern bitte auf die jeweilige Abbildung klicken!)

Für eilige Leser reichen die Informationen auf den Präsentationsfolien.
Ich werde es künftig so halten, dass ich meine Unterrichtsfolien zu jedem Kapitel möglichst gleich nach dem Unterricht hier veröffentliche und dann im Laufe der Woche mit weiteren Texten und Links versehe.
Wer keine Zeit und Geduld für die Erläuterungen hat, kann sich nur mit den Folien allein einen schnellen Überblick verschaffen.

Folie 1 - Intro:
Folie 2 - Informationspool:
Woraus Sie an diesem Abend schöpfen können. Werkzeuge, die wir bis dahin erarbeitet haben.

 Folie 3 - Aufgaben:
Folie 4 - Kurzdemo:
Umgang mit den verschiedenen Formen der Zeichenkohle, vom Pigment bis zum Stift.
Demo zu weiteren Werkzeugen: Radierer, Wischer, Schablonen, Tücher.






Folie 5 - Kohle. Schwarz:
Schwarz ist nicht gleich Schwarz.
Folie 6 - Vorschlag zum Vorgehen:
Folie 7 - 9  Beispiele: 


Ergebnisse des Abends:














Montag, 12. März 2012

2.Semester, Teil1: Fläche, Komposition, Stilleben 2 - Notan und Formate - 6.3.12


Notan:
Als schnelles, praktisches Hilfsmittel und Werkzeug der Komposition habe ich Ihnen eine spezielle Methode zur Herstellung sog. "Daumennagelskizzen" gezeigt. Diese Methode wurde zu Beginn des 20. Jahrhunderts von einem amerikanischen Maler, Grafiker und Fotografen namens Arthur Wesley Dow (Ipswich, MA) entwickelt und gelehrt. Das seltsame Wort (jap.) NOTAN geht auf einen in der asiatiatischen Tuschzeichnung angestrebten Harmonie- und Balancebegriff des Ineinandergreifens von Hell und Dunkel  zurück, der eigentlich nichts weiter als "Schwarz und Weiss" bedeutet, aber durchaus ein tieferes Konzept von Raum, Harmonie und Grössenverhältnissen meint. Schwarz UND Weiss, nicht Schwarz ODER Weiss - was ein kleiner grosser und kulturell bedeutsamer Unterschied ist.
Hier sind demnach nicht nur Licht- und Grauwerte gemeint, sondern umfassendere philosophische Konzepte von der Balance der Gegensätze.
Für unsere Zwecke reicht vorläufig dieses grobe Vorwissen. Wir reduzieren diese Methode ohnehin auf das Allereinfachste und vor allem Praktischste.

Wie ich Ihnen bereits im ersten Semester vorstellte, begnügt man sich hier bei der konzipierenden Suche nach einem Zeichen- oder Malmotiv auf die einfachsten Elemente der Komposition, die man auf kleiner Fläche ( 3 x 4 cm maximal!) mit einem Satz von schwarzen und später auch grauen Stiften oder Filzschreibern möglichst vereinfacht und nicht an dem komplexen Umriss orientiert als Flecken so in der Zeichenfläche verteilt, dass sie einen "Gesamtklang" der Anlage vor Augen stellen.
("Nicht an dem komplexen Umriss orientiert" bedeutet, dass die genaue Gestalt des Objekts nicht nur völlig nebensächlich ist, sondern eher sogar hinderlich für die Beurteilung der Massen des Gesamtanblicks!)
Mit einäugig unscharf gestelltem Blick erfassen Sie dabei nur die sog. Massen des Gegenstands oder der beobachteten Szene und notieren so recht einfach und schnell etliche Varianten, die einen interessanten Anblick, eine gewisse attraktive Spannung oder eine harmonische Aufteilung von bezeichneten und leeren Stellen ergeben.

Sie haben auf diese Weise ein fixes Kompositionswerkzeug an der Hand, mit dem sie schnell erkennen können, ob eine Bildaufteilung "stimmt" oder nicht.
Da Sie sehr kleine Arbeiten erstellen, haben Sie so in kurzer Zeit die Möglichkeit, etliche Konstellationen auszuprobieren und die beste dann skribbelnd und skizzierend, d.h. detaillierend weiterzuentwickeln.
Veranschaulichen können Sie sich das Vorgehen so, wie ein Fotograf mit Digitalkamera schnell zig Aufnahmen der gleichen Situation aus etlichen Blickwinkeln macht, um die Gelungenste dann weiterzuentwickeln.

Man unterscheidet 2-wertige Notans oder Daumennagelskizzen = Schwarz auf Weiss
und Dreiwertige Notans in Schwarz-Weiss-Grau - bis hin zu 5-wertigen, die wir aber im Rahmen dieses Kurses nicht anwenden werden:




Diese Reihe veranschaulicht, wie man mit Hilfe schnell erstellter 3x4 cm großer 3-wertiger Daumennagelskizzen eine ganze  Reihe von Kompositionsentwürfen durchspielen kann, ohne dafür Tage zu brauchen, sondern nur Minuten! Ausgangspunkt war hier ein simples Stilleben mit Gefäßen, das am Ende in einer rhythmischen Komposition aus Flächen, Formen und Grauwerten gipfelte. Ich spiele so gerne alle Möglichkeiten aller Abstraktionsstufen hin und zurück durch. (Kohle/Tusche/Gouache/Deckweiss auf grauem Karton oder Leinwandstücken)


Format:

In der Regel nimmt sich der Zeichner, was gerade rumliegt und fort muss...

In fast allen Fällen wird es ein sog. DIN-Bogen Papiers sein und normalerweise denkt man sich auch dabei nicht allzu viel. Bis man erkennt, dass die Wahl eines Formats, dessen Grössenverhältnis von Länge zu Breite und die Entscheidung über eine bestimmte Ausrichtung - ob nun Hoch- oder Querformat - eine ziemliche Bedeutung für die Anlage einer Zeichnung hat. 

Spielen Sie es selbst durch, indem sie eine "Stehende" auf Querformat platzieren oder eine Landschaft in ein Hochformat bringen - Sie werden davon bestimmt und entscheiden sich sofort für jeweils andere Aspekte des Motivs.

Ich habe beobachtet, dass man als Anfänger in der Regel darauf kaum achtet. Dabei haben Sie mit den 4 Seiten eines Blattes schon die ersten entscheidenden Elemente der Zeichnung gesetzt.
Das zu Bewusstsein zu bringen, ist das Ziel des notorischen Rahmenzeichnens. 
Ich bitte Sie, das also noch solange beizubehalten, bis Sie sicher, bewusst und virtuos das Format eines Blattes einsetzen.

Ich habe Ihnen kurz demonstriert, welche geometrischen und mathematischen Verhältnisse herrschen 
- an einem Quadrat,
am Industrieprodukt DIN A 4 - Blatt, 
- einem antiquierten Oktavblatt ( dessen Massverhältnisse noch heute das amerikanische Druckpapier bestimmt), einem Bogen also, der dem Goldenen Schnitt folgt,
- sowie offenen bis extremen Hoch- und Querformaten.
Die Unterschiede sind in einigen Fällen nur scheinbar unbedeutend, aber dennoch spürbar, in anderen Fällen sogar gravierend.

Sie haben als Zeichner mit Bewusstsein die volle Wahl. Die Wahl des Formats ist schon der erste und ziemlich wichtige Schritt der Gestaltung und damit ein starkes Ausdrucksmittel.
In der Regel allerdings verfährt man so, dass man wie oben gesagt, nimmt, was rumliegt und fortmuss. Jetzt aber auf höherem Niveau.


Hot Spots, Focal Points - für die es im Deutschen anscheinend nur Bandwurmwörter zu geben scheint (ich bitte um Hinweise auf elegantere Bezeichnungen!):
In einem weiteren Bewusstwerdungsschritt habe ich Ihnen vorgeführt - gleichgültig, für welches Format des Papiers Sie sich jeweils auch entscheiden werden -, dass es sog. 
"Hot Spots", 
"Focal Points" oder 
markante Kompositions- und Gestaltungspunkte 
auf einem Zeichenblatt gibt, die von selbst existieren, ohne Zutun des Zeichners - Kraft- und Gravitationsfelder, Kondensationspunkte gleichsam, die aber vom Zeichner bei der Platzierung der Zeichengegenstände mehr oder weniger erkannt und bewusst eingesetzt werden sollten. 
Simpelstes Beispiel: Blattmittelpunkt. Oder: Ecken. 

Claude Lorrain beispielsweise, Landschaftsmaler und -zeichner des Barock, hat grundsätzlich immer bei der Anlage auch der komplexesten Komposition, zunächst stur ein Raster in 3 Zonen horizontal und vertikal angelegt und tatsächlich recht genau entlang der Schnittpunkte seine Hauptelemente gesetzt - auch wenn man dies dem fertigen Gemälde am Ende nicht ansieht.



Es ist z.B. mehr oder weniger beliebte Praxis der kunstgeschichtlichen Bildinterpretation, insbesondere bei Bildern mit zu vermutenden tieferen Botschaften, sorgfältig die Aufteilungs- und Platzierungsachsen eines Bildes zu analysieren, da diese Zusammenhänge, Hierarchien, Nebenthemen, besonders bedeutsame Objekte und deren Bedeutung entschlüsseln helfen. D.h. schon immer haben traditionell Künstler nie "aus dem Bauch" und "irgendwie" die Dinge eines Bildes vorgeführt, sondern immer bedeutsam organisiert. Das gilt, wenn auch mit anderer Bedeutung, genau so für abstrakte Kunstwerke, die durchaus von bewährten Ordnungsmustern Gebrauch machen.
  
Zu Beginn bitte ich Sie deshalb, sich erst einmal ebenso stur und auffällig diese markanten Punkte zu konstruieren und ihre Kompositionen daran zu orientieren. Wenn Ihnen der Sachverhalt mit der Zeit immer klarer wird, werden Sie sich von der Sturheit der Raster ohnehin von selbst lösen.
Also:  Erst Regel erkennen und anwenden - dann aber wieder Freiheit finden.
D.h. gewöhnen Sie sich allmählich daran, dass der kreative Prozess aus einem Dialog regelbestätigender und regelbrechender Prozeduren besteht, Ordnung und Zerstörung in Wechselwirkung.

Ich habe Ihnen zunächst 2 einfache Formen der Aufteilung demonstriert:

- Die Konstruktion über fortgesetzte Halbierungen (es entsteht ein symmetrischer 4er Rhythmus)

- Die Drittelregel, die ein vereinfachter Goldener Schnitt darstellt, bei dem Höhe und Breite eines Zeichenformats in 3 gleiche Teile geteilt werden und die Schnittpunkte verschobene und dadurch dynamischere Zentren bilden können. (Auch in der Fotografie gern angewandt: "Rule of the Thirds", wer dazu mehr wissen möchte, sollte diesen Begriff dem Link folgend bei wikipedia nachlesen.)

Mit diesen sehr einfachen Gedanken haben Sie ein praktisches Werkzeug, alle Arten von Kompositionen Ihrer Zeichnung, aber auch der Malerei und Fotografie zu organisieren und Ordnung und Beziehung auf der Bildfläche zu herzustellen. Darum geht es in erster Linie, wenn von Bildkomposition die Rede ist. Mit der Ordnung lenken Sie den Blick des Betrachters und erzählen Ihr Anliegen, indem Sie die Dinge in Beziehung zueinander setzen.


PRAXIS (1h 45Min): 
Ziel des Abends bzw. zu Hause zu vollenden: A4 Stilleben „Birne oder Apfel auf  Teller und Tisch“ in Kohle und Kreide auf Grau oder abstrakter formuliert: Organische Form auf geometrischer Form in helldunklem Raum. Jede Lösung zwischen klassischer und völlig abstrakter Formulierung ist OK.


Herangehensweise simuliert mit Google Sketchup 3D:














Spiel: (ca. 20 Min.)
1) Warmup auf eigene Faust (5 Min Linien, Bögen)

2) Skizzieren Sie mit einfachen Mitteln mehrere unterschiedliche Formate auf ein Blatt (Quadrat, DinBlatt, Goldener Schnitt, frei und extrem) und teilen Sie diese Flächen nach den oben genannten Regeln in statische, symmetrische und dynamische Felder, die Sie durchaus auch kombinieren können.
Es sollten sich Rhythmen von unterschiedlich grossen Flächen ergeben, je nach Teilungsregel.
(15 Min. Linien und Flächen)

Studium: (ca. 25 Min.)
Aus dem Fundus aus Grundformen,  Alltagsgegenständen, Früchten, Stoffen und Papieren stellen Sie ein möglichst einfaches Stilleben zusammen, bereiten mit dem Sucher und mehreren 2- oder 3-wertigen Daumennagelskizzen möglichst klare und interessante Kompositionen des Stillebens vor.

Werk: (1 Std.)
Die beste Skizze der oben vorbereiteten Stilleben setzen Sie in Schwarz (Kohle) und Weiss (Kreide) auf mittelgrauem Papier (min. A4) so um, dass Sie das Stilleben innerhalb  eines bewusst gewählten und aufgeteilten Formats zeichnen (von Quadrat bis extremes Hoch- oder Querformat).




Bitte zur nächsten Stunde mitbringen:
- Falls Sie bereits Kohle- und Kreidestifte haben sollten
- Schmirgelpapier um 120er Korn
- Malkleidung oder -hemd, es wird ein wenig schmutzig nächstes Mal
- 1 alte Zeitung
- Küchenkrepp
- ggf. Haushaltshandschuhe
- A4 Papier aller Art
- Schere