Samstag, 24. März 2012

Fläche, Komposition, Stilleben - Sachzeichnen und Experiment - 20.3.12

Folgende Folien habe ich am 20.3.12 vorgestellt:
(Zum Vergrössern bitte auf die jeweilige Abbildung klicken!)

Für eilige Leser reichen die Informationen auf den Präsentationsfolien.
Ich werde es künftig so halten, dass ich meine Unterrichtsfolien zu jedem Kapitel möglichst gleich nach dem Unterricht hier veröffentliche und dann im Laufe der Woche mit weiteren Texten und Links versehe.
Wer keine Zeit und Geduld für die Erläuterungen hat, kann sich nur mit den Folien allein einen schnellen Überblick verschaffen.

Folie 1 - Intro:

Folie 2 - Kurze Skizze zu Kreativität:


Jeder künstlerische Prozess versucht eine Balance zwischen sachlicher Disziplin, Handwerk, Wissen einerseits und andererseits einer risikobereiten Offenheit für selbstvergessenes Spiel und Experiment zu leisten.
Ich habe festgestellt (und lerne also auch weiterhin in der Zusammenarbeit mit Ihnen), dass der Begriff des Spiels nicht selbstverständlich und als Handlung für Erwachsene schon gar nicht so leicht umzusetzen ist.

Man muss das Spielen auch erst üben...sich erlauben, zulassen...

Es kann - nein soll sogar - beim Spielen mit den Materialien und den künstlerischen Formen durchaus unordentlich, wild, chaotisch, mitunter sinnfrei und absurd zugehen - letztlich aber ist unsere Wahrnehmung gerade dann am wachsten, wenn unbekannte Strukturen, Phänomene, Formen vor unseren Augen "geschehen". Das darf auch gerne mal ratlos machen - was ein guter Ansatz für die Kreativität ist, denn sie kommt gern aus dem Offenen und dem Nichts. Und darum geht es. 
In dem Moment, in dem Sie als Spieler die scheinbar "zufälligen" Ereignisse und Begegnungen herstellen und arrangieren, steuern Sie sowieso mehr oder weniger bewusst das Geschehen.
Ziel der Übung des Spielens ist es also, den ausgetretenen Pfad Ihrer Vor-einstellungen, Vor-stellungen, Vorurteile (d.h. das, was ich den übermächtigen inneren Controlletti oder die Antizipation nenne) zu verlassen und sich als experimentierender Beobachter mit Neugier dem aussetzen, was durch die von Ihnen selbst aufgestellte und dauernd wechselnde Spielregel da gerade vor Ihren Augen geschieht.

Im besten Fall erleben Sie für Sie neue Möglichkeiten der Materialien und Formen, die Sie dann in organisierterer Form bewusst für Ihre geplanten Arbeiten einsetzen können. Das ist der Sinn und Zweck der Übung. Sie erweitert nach und nach Ihren Horizont.
Sie sind als Beobachter Ihrer Erfahrungen gefragt. So entwickelt sich nach und nach Ihr Repertoire.
Sie sollten nur darauf achten, nicht immer nur bei Spiel und Experiment stehen zu bleiben, sondern nutzen Sie möglichst bald das Erlebte und fangen Sie an, damit zu formen und gestalten. Prozess und Produkt.




Folie 3 - Werkzeuge des Sachzeichnens:


Im Nachklapp zu vorangegangenen Auseinandersetzungen mit dem Zeichnen der Dinge um Sie herum, wollte ich Ihnen mit der Demonstration am Beispiel eines einfachen Objektes zeigen, wie Sie dabei ganz systematisch der Reihe nach die Aspekte des Körperlichen, die wir in Zeichnen 1 / Einheit 3 kennenlernten, anwenden können - und dabei frei sind in der Wahl, welchen Aspekt Sie bei einem jeweiligen Thema betonen, was der Gegenstand oft geradezu aufnötigt (z.B. Reflektionen und Transparenz bei Glas, Stofflichkeit in Licht und Schatten bei Tuch, Papierknäuel etc).



Zur Erinnerung, die Aspekte sind:


F - Format (Komposition, Notan)
M - Messen, Grössenverhältnisse, Proportionen
P - Perspektive,
Ü - Überschneidungen, Grundfiguren
K - Konturen,
V - Volumen, 
L - Licht/Schatten, Textur




 Folie 4 - Demo: Vom Sachzeichnen zur freien Zeichnung:
Am Beispiel einer Glasflasche habe ich Ihnen vorgestellt, wie man Schritt für Schritt vorgehen kann - aber auch nicht muss.

1) Die Übung der Notans sollte Ihnen in der Vorbereitung durch mehrfaches Durchspielen der möglichen Formate und Platzierungen ein Werkzeug an die Hand geben, schnell und unaufwändig eine interessante Komposition in "Daumennagelgrösse" zu erstellen.
Die beste Lösung skizzieren Sie danach in etwas grösserem Massstab.

2) Nachdem Grösse und Format der Zeichnung feststehen, legen sie mit zarten Strichen eine erste sehr grob umrissene Komposition auf dem Zielformat fest.

3) Messend und vergleichend umreissen Sie mit zarten Strichen die Grössenverhältnisse der gewählten Gegenstände und tragen zart die Grundkörperformen, Überschneidungen und die wesentlichen, der Perspektive folgende Modellierungen der Formen ein (z.B. zarte Ellipsen, die das Volumen des Glases beschreiben).

4) Ist die grundsätzliche Anlage der Zeichnung einigermassen stimmig, sollten Sie nun präzisere Beobachtungen an der Kontur der Objekte eintragen. Sie haben gelernt, dass das Auge sehr empfindlich auf auch nur angedeutete Überschneidungen und Verkürzungen reagiert und bei sorgfältigem Einzeichnen mitunter nur ein paar richtig gesetzte Elemente völlig überzeugend genügen. Hier entwickelt sich nach und nach die Kunst des Weglassens, die das Wesentliche im Auge hat. (Sie werden nie und nimmer ein Photoapparat, dem jede Stelle des Objekts gleich gültig ist...- und sollten das auch nie anstreben!).

5) Jetzt erst, wenn das ganze Zeichengerüst geklärt ist, stürzen Sie sich auf Ihren persönlichen "Plot", das Drama, das Sie mit dem Objekt als wichtig empfinden und über das Sie mit Ihrer Zeichnung Bericht geben wollen.
Hier beobachten Sie an einer besonders überzeugenden Stelle, wie das Licht durch den Glaskörper fällt und alle Gegenstände hinter dem Objekt verzerrt werden, wie der Schatten fällt, wo überall Reflexe sind, welche wichtig, welche Nebensache sind usw.


Abschliessend zeigte ich Ihnen kurz, wie man mit einer mutigen und scheinbar willkürlichen Auswahl und Reduktion aus den bekannten Elementen etwas Neues mit eigener Gesetzlichkeit schaffen kann. Dieses Vorgehen stellte ich Ihnen anhand von Arbeiten vom Beginn des 20.Jahrhunderts der Maler und Zeichner Picasso, Braque und Juan Gris vor.

Ein schöpferischer, aber riskanter Befreiungsakt. Das Risiko dabei: Es kann manchmal auch nur Stuss und Wirres herauskommen, man kann sich verfahren und Bilder ohne Ergebnis zu Tode zeichnen - aber gerade das gehört zum kreativen Arbeiten! So entsteht künstlerische Erfahrung und vor allem Urteilsvermögen. Wie fast immer und überall auch hier nur durch häufigen Versuch, Irrtum und die richtigen Schlüsse daraus. 
Das ist der Sinn von Übung.



 Folie 5 - Inspiration: Analytischer Kubismus:
In einem sehr kurzen kunsthistorischen Abriss zur analytischen Phase des Kubismus
habe ich Ihnen hoffentlich eine Anregung geben können, wie Sie mit dem Material Ihrer spielerischen Experimente und der Herangehensweise des Sachstudiums eigene Lösungen entwickeln können.
Geleitet werden sollten Sie dabei durch den Ausspruch Cézannes, dass sich alles, was es zu sehen gibt, durch die Reduktion auf die Grundkörper Kugel, Kegel, Quader, Zylinder darstellen lässt. Und dass der Standpunkt von Betrachter und Produzent ziemlich relativ und unbestimmt sein kann.
(Wichtige Vertreter: Picasso, Braque, Gris)



Folie 6 - Praxis: 
1) Ein Thema des Abends war es, das Spielen zu lernen.

Das erste Warmup galt dem Material, das ich Ihnen in sehr verschiedenen Zuständen zur Verfügung stellte. 
Kohle als Pigment, als rußiges Holzkohle-Stäbchen, als gepresster Eisenoxid-Block, als in Holz gefasster Stift.
Dazu Knetgummi, andere Radierer, Wischer, Tücher, Papiertücher, Schablonen.

Wenn Sie das Thema der Schwärze faszinieren sollte, machen Sie weitere Experimente mit anderen Schwarz- und Anthrazit-Pigmenten wie Rebenschwarz, Elfenbeinschwarz, Eisenoxide, Lampenruß etc.
Schwarz ist nicht gleich Schwarz. Der Zeichner und Grafiker entwickelt ein besonderes Verhältnis zu den Farben des Schwarz.

Das Material Kohle ist das älteste Zeichenmaterial und relativ leicht und intuitiv zu verwenden.

Versuchen Sie alles, was Ihnen einfällt: Wischen, ausradieren mit Knetgummi, auf feuchtem Papier, auf verschiedenen Papiersorten, mit Tuch, Papier oder Wischer behandelt, mit Fingern, mit Pappen aufgetragen, über Schablone gewischt usw.

2) Von einem traditionellen Entwurf oder einer einfachen Sachzeichnung eines Gegenstandes ausgehend, sollten Sie Elemente dessen, was Sie im Spiel entwickelt haben, für eine Andeutung eines konventionellen Stillebens einsetzen.

3) Mit all diesen Erfahrungen und den Informationen zum Kubismus im Hinterkopf, sollten Sie nun ein eigenes Werk im Geist des analytischen Kubismus anfertigen, das Ihre Spielergebnisse, die Ergebnisse des Sachstudiums sowie Ihre zunehmende kompositorische Freiheit vorführen. 






 Folie 7 - Beispiels:




Ergebnisse:



Sonntag, 18. März 2012

Fläche, Komposition, Stilleben - Spieleabend - 13.3.12


Spieleabend






Folgende Folien habe ich am 13.3.12 vorgestellt:
(Zum Vergrössern bitte auf die jeweilige Abbildung klicken!)

Für eilige Leser reichen die Informationen auf den Präsentationsfolien.
Ich werde es künftig so halten, dass ich meine Unterrichtsfolien zu jedem Kapitel möglichst gleich nach dem Unterricht hier veröffentliche und dann im Laufe der Woche mit weiteren Texten und Links versehe.
Wer keine Zeit und Geduld für die Erläuterungen hat, kann sich nur mit den Folien allein einen schnellen Überblick verschaffen.

Folie 1 - Intro:
Folie 2 - Informationspool:
Woraus Sie an diesem Abend schöpfen können. Werkzeuge, die wir bis dahin erarbeitet haben.

 Folie 3 - Aufgaben:
Folie 4 - Kurzdemo:
Umgang mit den verschiedenen Formen der Zeichenkohle, vom Pigment bis zum Stift.
Demo zu weiteren Werkzeugen: Radierer, Wischer, Schablonen, Tücher.






Folie 5 - Kohle. Schwarz:
Schwarz ist nicht gleich Schwarz.
Folie 6 - Vorschlag zum Vorgehen:
Folie 7 - 9  Beispiele: 


Ergebnisse des Abends:














Montag, 12. März 2012

2.Semester, Teil1: Fläche, Komposition, Stilleben 2 - Notan und Formate - 6.3.12


Notan:
Als schnelles, praktisches Hilfsmittel und Werkzeug der Komposition habe ich Ihnen eine spezielle Methode zur Herstellung sog. "Daumennagelskizzen" gezeigt. Diese Methode wurde zu Beginn des 20. Jahrhunderts von einem amerikanischen Maler, Grafiker und Fotografen namens Arthur Wesley Dow (Ipswich, MA) entwickelt und gelehrt. Das seltsame Wort (jap.) NOTAN geht auf einen in der asiatiatischen Tuschzeichnung angestrebten Harmonie- und Balancebegriff des Ineinandergreifens von Hell und Dunkel  zurück, der eigentlich nichts weiter als "Schwarz und Weiss" bedeutet, aber durchaus ein tieferes Konzept von Raum, Harmonie und Grössenverhältnissen meint. Schwarz UND Weiss, nicht Schwarz ODER Weiss - was ein kleiner grosser und kulturell bedeutsamer Unterschied ist.
Hier sind demnach nicht nur Licht- und Grauwerte gemeint, sondern umfassendere philosophische Konzepte von der Balance der Gegensätze.
Für unsere Zwecke reicht vorläufig dieses grobe Vorwissen. Wir reduzieren diese Methode ohnehin auf das Allereinfachste und vor allem Praktischste.

Wie ich Ihnen bereits im ersten Semester vorstellte, begnügt man sich hier bei der konzipierenden Suche nach einem Zeichen- oder Malmotiv auf die einfachsten Elemente der Komposition, die man auf kleiner Fläche ( 3 x 4 cm maximal!) mit einem Satz von schwarzen und später auch grauen Stiften oder Filzschreibern möglichst vereinfacht und nicht an dem komplexen Umriss orientiert als Flecken so in der Zeichenfläche verteilt, dass sie einen "Gesamtklang" der Anlage vor Augen stellen.
("Nicht an dem komplexen Umriss orientiert" bedeutet, dass die genaue Gestalt des Objekts nicht nur völlig nebensächlich ist, sondern eher sogar hinderlich für die Beurteilung der Massen des Gesamtanblicks!)
Mit einäugig unscharf gestelltem Blick erfassen Sie dabei nur die sog. Massen des Gegenstands oder der beobachteten Szene und notieren so recht einfach und schnell etliche Varianten, die einen interessanten Anblick, eine gewisse attraktive Spannung oder eine harmonische Aufteilung von bezeichneten und leeren Stellen ergeben.

Sie haben auf diese Weise ein fixes Kompositionswerkzeug an der Hand, mit dem sie schnell erkennen können, ob eine Bildaufteilung "stimmt" oder nicht.
Da Sie sehr kleine Arbeiten erstellen, haben Sie so in kurzer Zeit die Möglichkeit, etliche Konstellationen auszuprobieren und die beste dann skribbelnd und skizzierend, d.h. detaillierend weiterzuentwickeln.
Veranschaulichen können Sie sich das Vorgehen so, wie ein Fotograf mit Digitalkamera schnell zig Aufnahmen der gleichen Situation aus etlichen Blickwinkeln macht, um die Gelungenste dann weiterzuentwickeln.

Man unterscheidet 2-wertige Notans oder Daumennagelskizzen = Schwarz auf Weiss
und Dreiwertige Notans in Schwarz-Weiss-Grau - bis hin zu 5-wertigen, die wir aber im Rahmen dieses Kurses nicht anwenden werden:




Diese Reihe veranschaulicht, wie man mit Hilfe schnell erstellter 3x4 cm großer 3-wertiger Daumennagelskizzen eine ganze  Reihe von Kompositionsentwürfen durchspielen kann, ohne dafür Tage zu brauchen, sondern nur Minuten! Ausgangspunkt war hier ein simples Stilleben mit Gefäßen, das am Ende in einer rhythmischen Komposition aus Flächen, Formen und Grauwerten gipfelte. Ich spiele so gerne alle Möglichkeiten aller Abstraktionsstufen hin und zurück durch. (Kohle/Tusche/Gouache/Deckweiss auf grauem Karton oder Leinwandstücken)


Format:

In der Regel nimmt sich der Zeichner, was gerade rumliegt und fort muss...

In fast allen Fällen wird es ein sog. DIN-Bogen Papiers sein und normalerweise denkt man sich auch dabei nicht allzu viel. Bis man erkennt, dass die Wahl eines Formats, dessen Grössenverhältnis von Länge zu Breite und die Entscheidung über eine bestimmte Ausrichtung - ob nun Hoch- oder Querformat - eine ziemliche Bedeutung für die Anlage einer Zeichnung hat. 

Spielen Sie es selbst durch, indem sie eine "Stehende" auf Querformat platzieren oder eine Landschaft in ein Hochformat bringen - Sie werden davon bestimmt und entscheiden sich sofort für jeweils andere Aspekte des Motivs.

Ich habe beobachtet, dass man als Anfänger in der Regel darauf kaum achtet. Dabei haben Sie mit den 4 Seiten eines Blattes schon die ersten entscheidenden Elemente der Zeichnung gesetzt.
Das zu Bewusstsein zu bringen, ist das Ziel des notorischen Rahmenzeichnens. 
Ich bitte Sie, das also noch solange beizubehalten, bis Sie sicher, bewusst und virtuos das Format eines Blattes einsetzen.

Ich habe Ihnen kurz demonstriert, welche geometrischen und mathematischen Verhältnisse herrschen 
- an einem Quadrat,
am Industrieprodukt DIN A 4 - Blatt, 
- einem antiquierten Oktavblatt ( dessen Massverhältnisse noch heute das amerikanische Druckpapier bestimmt), einem Bogen also, der dem Goldenen Schnitt folgt,
- sowie offenen bis extremen Hoch- und Querformaten.
Die Unterschiede sind in einigen Fällen nur scheinbar unbedeutend, aber dennoch spürbar, in anderen Fällen sogar gravierend.

Sie haben als Zeichner mit Bewusstsein die volle Wahl. Die Wahl des Formats ist schon der erste und ziemlich wichtige Schritt der Gestaltung und damit ein starkes Ausdrucksmittel.
In der Regel allerdings verfährt man so, dass man wie oben gesagt, nimmt, was rumliegt und fortmuss. Jetzt aber auf höherem Niveau.


Hot Spots, Focal Points - für die es im Deutschen anscheinend nur Bandwurmwörter zu geben scheint (ich bitte um Hinweise auf elegantere Bezeichnungen!):
In einem weiteren Bewusstwerdungsschritt habe ich Ihnen vorgeführt - gleichgültig, für welches Format des Papiers Sie sich jeweils auch entscheiden werden -, dass es sog. 
"Hot Spots", 
"Focal Points" oder 
markante Kompositions- und Gestaltungspunkte 
auf einem Zeichenblatt gibt, die von selbst existieren, ohne Zutun des Zeichners - Kraft- und Gravitationsfelder, Kondensationspunkte gleichsam, die aber vom Zeichner bei der Platzierung der Zeichengegenstände mehr oder weniger erkannt und bewusst eingesetzt werden sollten. 
Simpelstes Beispiel: Blattmittelpunkt. Oder: Ecken. 

Claude Lorrain beispielsweise, Landschaftsmaler und -zeichner des Barock, hat grundsätzlich immer bei der Anlage auch der komplexesten Komposition, zunächst stur ein Raster in 3 Zonen horizontal und vertikal angelegt und tatsächlich recht genau entlang der Schnittpunkte seine Hauptelemente gesetzt - auch wenn man dies dem fertigen Gemälde am Ende nicht ansieht.



Es ist z.B. mehr oder weniger beliebte Praxis der kunstgeschichtlichen Bildinterpretation, insbesondere bei Bildern mit zu vermutenden tieferen Botschaften, sorgfältig die Aufteilungs- und Platzierungsachsen eines Bildes zu analysieren, da diese Zusammenhänge, Hierarchien, Nebenthemen, besonders bedeutsame Objekte und deren Bedeutung entschlüsseln helfen. D.h. schon immer haben traditionell Künstler nie "aus dem Bauch" und "irgendwie" die Dinge eines Bildes vorgeführt, sondern immer bedeutsam organisiert. Das gilt, wenn auch mit anderer Bedeutung, genau so für abstrakte Kunstwerke, die durchaus von bewährten Ordnungsmustern Gebrauch machen.
  
Zu Beginn bitte ich Sie deshalb, sich erst einmal ebenso stur und auffällig diese markanten Punkte zu konstruieren und ihre Kompositionen daran zu orientieren. Wenn Ihnen der Sachverhalt mit der Zeit immer klarer wird, werden Sie sich von der Sturheit der Raster ohnehin von selbst lösen.
Also:  Erst Regel erkennen und anwenden - dann aber wieder Freiheit finden.
D.h. gewöhnen Sie sich allmählich daran, dass der kreative Prozess aus einem Dialog regelbestätigender und regelbrechender Prozeduren besteht, Ordnung und Zerstörung in Wechselwirkung.

Ich habe Ihnen zunächst 2 einfache Formen der Aufteilung demonstriert:

- Die Konstruktion über fortgesetzte Halbierungen (es entsteht ein symmetrischer 4er Rhythmus)

- Die Drittelregel, die ein vereinfachter Goldener Schnitt darstellt, bei dem Höhe und Breite eines Zeichenformats in 3 gleiche Teile geteilt werden und die Schnittpunkte verschobene und dadurch dynamischere Zentren bilden können. (Auch in der Fotografie gern angewandt: "Rule of the Thirds", wer dazu mehr wissen möchte, sollte diesen Begriff dem Link folgend bei wikipedia nachlesen.)

Mit diesen sehr einfachen Gedanken haben Sie ein praktisches Werkzeug, alle Arten von Kompositionen Ihrer Zeichnung, aber auch der Malerei und Fotografie zu organisieren und Ordnung und Beziehung auf der Bildfläche zu herzustellen. Darum geht es in erster Linie, wenn von Bildkomposition die Rede ist. Mit der Ordnung lenken Sie den Blick des Betrachters und erzählen Ihr Anliegen, indem Sie die Dinge in Beziehung zueinander setzen.


PRAXIS (1h 45Min): 
Ziel des Abends bzw. zu Hause zu vollenden: A4 Stilleben „Birne oder Apfel auf  Teller und Tisch“ in Kohle und Kreide auf Grau oder abstrakter formuliert: Organische Form auf geometrischer Form in helldunklem Raum. Jede Lösung zwischen klassischer und völlig abstrakter Formulierung ist OK.


Herangehensweise simuliert mit Google Sketchup 3D:














Spiel: (ca. 20 Min.)
1) Warmup auf eigene Faust (5 Min Linien, Bögen)

2) Skizzieren Sie mit einfachen Mitteln mehrere unterschiedliche Formate auf ein Blatt (Quadrat, DinBlatt, Goldener Schnitt, frei und extrem) und teilen Sie diese Flächen nach den oben genannten Regeln in statische, symmetrische und dynamische Felder, die Sie durchaus auch kombinieren können.
Es sollten sich Rhythmen von unterschiedlich grossen Flächen ergeben, je nach Teilungsregel.
(15 Min. Linien und Flächen)

Studium: (ca. 25 Min.)
Aus dem Fundus aus Grundformen,  Alltagsgegenständen, Früchten, Stoffen und Papieren stellen Sie ein möglichst einfaches Stilleben zusammen, bereiten mit dem Sucher und mehreren 2- oder 3-wertigen Daumennagelskizzen möglichst klare und interessante Kompositionen des Stillebens vor.

Werk: (1 Std.)
Die beste Skizze der oben vorbereiteten Stilleben setzen Sie in Schwarz (Kohle) und Weiss (Kreide) auf mittelgrauem Papier (min. A4) so um, dass Sie das Stilleben innerhalb  eines bewusst gewählten und aufgeteilten Formats zeichnen (von Quadrat bis extremes Hoch- oder Querformat).




Bitte zur nächsten Stunde mitbringen:
- Falls Sie bereits Kohle- und Kreidestifte haben sollten
- Schmirgelpapier um 120er Korn
- Malkleidung oder -hemd, es wird ein wenig schmutzig nächstes Mal
- 1 alte Zeitung
- Küchenkrepp
- ggf. Haushaltshandschuhe
- A4 Papier aller Art
- Schere

Sonntag, 4. März 2012

2.Semester, Teil1: Fläche, Komposition, Stilleben 1 - 28.2.12



Die Komposition einer Zeichnung.

Machen Sie sich bitte keine Illusionen: Nichts, aber auch gar nichts, was Sie je an von  Menschen hergestellten Bildern gesehen und sich gemerkt haben, ist zufällig so gestaltet, sondern ist immer in irgendeiner Weise bewusst visuell so konzipiert und mit mehr oder weniger Stimmigkeit so arrangiert worden, wie der Produzent des Bildes es gewollt hat.
Seien es nun Bilder aus der langen Geschichte der Kunst bis hin zu den mehr oder weniger kompositorisch gelungenen Fotos in heutigen Publikationen.
Entweder sind diese geprägt von den Seherwartungen und Konventionen der Zeit, in der das jeweilige Bild entstand, oder geprägt von dem Antrieb des Produzenten, eine neue und persönliche Sicht der Dinge zu zeigen.
Kein über ein Bild vermittelter Anblick - zumindest bis zur Erfindung der Fotografie -  war und ist je zufällig (höchstens ungeschickt formuliert...), und selbst mit einem Fotoapparat in der Hand ist es schwer, eine rein zufällige und nicht von Absichten gesteuerte Ansicht der Welt zu fabrizieren. Fragen Sie notfalls dazu Fotografen oder andere visuelle Gestalter...

Spätestens dann, wenn Sie auf ein zufällig entstandenes oder ganz arg schlecht fotografiertes Bild schauen, werden Sie spontan anfangen, es irgendwie zu

ORDNEN  

d.h. Sie werden versuchen, eine Botschaft, eine Anordung, ein Nacheinander, eine Hierarchie der Bedeutung hineinzusehen, notfalls sogar zu erfinden, um das Chaos der um Bedeutung ringenden Elemente des Bildes irgendwie zu bändigen. 
Also machen Sie sich klar: wir tragen unser Bedürfnis nach Bedeutung und Ordnung wie von selbst und geradezu zwanghaft in die Bilder, oder mit anderen Worten:  Das Sehen sucht Sinn und notfalls produziert es ihn.

Und das ist der Beginn des bildnerischen Komponierens.

Mit Fug und Recht können Sie nun aber einwenden, dass man beim spontanen Zeichnen sowieso immer schon mit dem Anordnen von Bildelementen beschäftigt ist. Mehr oder weniger bewusst schafft man immer irgendeine Form von Ordnung, indem man zeigt, wo oben und unten, vorne und hinten und was gross und klein ist - Richtig!

Ich habe mir nur das vielleicht verwegene Ziel gesetzt, Ihnen mit den Übungen der nächsten 3 Abende bewusst zu machen, wie dies funktioniert, was dabei geschieht und wie man es anstellen kann, nicht spontan in die Falle von altbekannten (und damit oft ungeschickten oder gar langweiligen) Sehklischees zu tappen, um evtl. sogar Ihre eigene Sicht auf die Dinge zu entwickeln und in Ihren Zeichnungen zu zeigen. 


Ich bin mir sicher, dass Sie von sich aus "aus dem Bauch" heraus immer eine Idee haben werden, wie sie irgendwie ein Arrangement von Dingen in Szene setzen können, aber genau um dieses Irgendwie geht es mir.
Ziel des ersten Teiles ist es, Ihnen Werkzeuge an die Hand zu geben, wie Sie zunehmend bewusstere und im Laufe der Zeit vielleicht sogar interessantere Ansichten der Dinge so zeichnerisch inszenieren können, dass Sie Ihre Sicht der Dinge zeigen.

Nebenbei: 
Als Zeichner und Maler dürfen Sie heutzutags ALLES, nur eines nicht: Langweilen!
Es sei denn, das genau ist Ihr persönliches Ziel - das wäre auch OK, aber evtl. der Müh nicht Wert...;-)


Warum Stilleben? 

Naheliegenderweise üben wir einfache Kompositionen zuerst anhand von Dingen, die den Vorzug haben, eine Weile still zu stehen und nicht zu wackeln. Das ist eine der Stärken des Genres Stilleben, neben der Tatsache, dass wir ggf. beim Betrachten der Dinge über ihr Dasein und Sosein anfangen nachzudenken. (dt. Stilleben, frz. Nature Morte. ..)

In der ersten Stunde haben wir Stilleben auf Grundkörper wie Kugel, Quader, Zylinder, Würfel, Pyramide reduziert, um das Prinzip des Komponierens (Zusammen- und Hinstellens, Nebeneinanderlegens) ohne Ablenkung durch die Bedeutung oder Oberflächenqualitäten der Dinge zu begreifen. Zudem zeigen diese auch einfacher und deutlicher die räumliche Konstruktion und Perspektive, was ja nebenbei nach wie vor unser Thema ist. 
Sehen Sie also vorerst diese Grundkörper an wie "Container", d.h. Platzhalter für die in der Realität etwa ähnlich geformten Dinge.
( Ja klar, sind diese erst einmal arg abstrakt und für manchen sogar eher hässlich und langweilig, aber enorm lehrreich - und manchem Ding in der  realen Welt auch ziemlich arg nah...)

Zu den gedanklichen Hintergründen des Genres "Stilleben", das kunstgeschichtlich betrachtet ein recht junges ist, werde ich Ihnen im Laufe der nächsten Wochen noch mehr erzählen.


Komposition mit einfachen Mitteln:

Um Ihnen vor Augen zu führen, wie das kompositorische Denken geradezu spielerisch begonnen werden kann, habe ich Ihnen folgende Vereinfachungen und Hilfsmittel demonstriert, anhand derer im Prinzip jede Form von bildnerischer Komposition geübt werden kann:



Mit dieser in Google Sketchup (kostenlose 3D-Software für Windows und Mac) produzierten Animation einfacher Grundkörper, wollte ich Sie davon überzeugen, dass selbst aus langweiligen Gegenständen durch Wahl des Ausschnitts und Blickwinkels etwas Interessantes, vielleicht sogar Dramatisches entstehen kann. Ich habe hier zunächst völlig wahllos einige Grundkörper auf einer Fläche verteilt und suche Ansichten, die spannende Konstellationen zeigen. Das Ganze erinnert an Vielerlei: Stadtansichten, Bauklotzlandschaften, simple Stilleben, Bühnenaufbau, der Blick in mein Atelier Freitagabends (natürlich nur die Container der Dinge, die ich hier lieber für mich behalte ;-),  etc.




Empfohlenes Vorgehen bei der Anlage einer Stilleben-Zeichnung:

1. Vereinfachen Sie generell beim Aufbau und Zeichnen eines Stillebens, indem Sie zunächst immer die zugrundliegenden Grundkörper und deren Lage und Grösse erfassen. Jeder Gegenstand in der realen Welt kann auf einen oder zusammengesetzte Grundkörper reduziert werden. Das gilt sowohl für Stilleben, aber auch bei Landschaften und sogar beim Zeichnen menschlicher Körper. 
Cezannes Ausspruch, dass sich alles in der Natur im Kern auf Kubus, Kugel und Zylinder reduzieren lässt, ist nach wie vor absolut richtig.
Das Fazit dieses Schrittes: Komponieren heisst vereinfachen, reduzieren.

2. Arbeit mit einem "Sucher" (der anderswo auch "Finder" genannt wird).
Aus Karton schneiden Sie 2 L-förmige Streifen, die Sie so zueinanderführen, dass ein verschiebbares, variables Bildfenster entsteht. Mit diesem Hilfsmittel schneidet man aus dem komplizierten Gesamt eines Anblicks den für Sie interessanten Ausschnitt heraus, der für Ihre Komposition wichtig ist.
Fazit: Weniger ist oft mehr. Suchen Sie das Element, das einen Anblick interessant macht. Ich nenne das ein "visuelles Drama", oder: Wo ist der Plot? Die Geschichte, die Sie erzählen wollen?

3. Sie skizzieren mehrere Varianten der Komposition, indem Sie verschiedene Blickwinkel, Arrangements, Aufteilungen in max. 3x4 cm grossen sog. "Daumennagelskizzen" (engl. thumbnails) festhalten.
Dabei zeichnen Sie nur sehr grob mit einem schwarzen Stift (Filzstift ist dafür prima geeignet), den groben Plan in Hell und Dunkel. So sehen Sie sofort, ob eine Aufteilung funktioniert oder nicht. Zum Hintergrund dieser Methode nächste Woche mehr.
Fazit: Zeichnen Sie nicht die erstbeste Lösung, die Ihnen einfällt, sondern probieren Sie aus, was der Gegenstand aus anderen Blickwinkeln hergibt.

Hier Beispiele solcher "Daumennagelskizzen" aus einem meiner Skizzenbücher:

Landschaftsskizzen



Portrait- und Blumenstilleben-Skizzen


Der Vorzug der vorgestellten Methode ist, dass man sich damit viele Stunden vergeblicher Zeichenmühen spart, da man so sehr schnell feststellen kann, ob sich eine stundenlange Arbeit überhaupt lohnt oder die Komposition von vornherein verfehlt ist.



Übungen des Abends:


SPIELEN:
1. Warmzeichnen auf eigene Faust.

2. Nachkritzeln aus Daucher S.24f - diesmal auf höherem Niveau. Es ging darum, für sich herauszufinden, wie man aus dem Bauch heraus ein Format aufteilt und ob das dann irgendwie spannend oder einfach nichts ist...


STUDIUM:
3. Einüben des oben beschriebenen Vorgehens anhand simpler Grundkörper-Stilleben.


WERK:
Ziel des Abends (als Hausarbeit evtl. auszuführen): 
A4 Zeichnung eines einfachen Grundkörper-Stillebens aus Kugel, Kubus, Zylinder etc., das mit der oben geübten Methode komponiert ist und mit der Hell-Dunkel-Schraffur (weisser Stift und Bleistift) auf mittelgrauem Papier oder Packpapier ausgeführt wird.
Weniger ist mehr!


Apropos: Die 3 Schritte "Spiel-Studium-Werk" habe ich Ihnen als 3 notwendige "Stationen" in der Aneignung und Entwicklung der eigenen Arbeit erklärt. Wir werden diese im ganzen Semester so beibehalten.
Ich halte viel davon, nicht bei Spiel oder Studium stehen zu bleiben, sondern seine Erfahrungen dann am Ende in einer fertigen Arbeit zu bündeln und vorzeigbar zu machen. So dokumentieren Sie sich auch selbst den Weg von der spielerischen Annäherung über das genauere Ergründen bis zum signierten Bild - das ohnehin dann immer nur wieder Ausgangspunkt für etwas Anderes oder Besseres ist...