Dienstag, 20. Dezember 2011

Einheit 2 - 5.Std, Anwendung aller Methoden, Di. 13.12.11

Zu Beginn des Abends habe ich Ihnen noch einmal alle bislang erarbeiteten Methoden der Einheit zusammengefasst und eine zugegebenermassen sehr subjektive Bewertung versucht:


1 Gestisches Zeichnen/einfühlendes Zeichnen (ideomotorisch):
Hier geht es in erster Linie darum, die Handlung, Action, Bewegung einer Person oder eines Gegenstands recht schnell zu erfassen und ohne allzu genaue Beschreibung festzuhalten.
+ Stellt Verbindung her, im besten Fall so etwas wie Einfühlung und innerer Nachvollzug.
- Ästhetisch erst einmal gewöhnungsbedürftig, da Schönheit hier nicht das Thema ist.


2 Symmetriefiguren
Übungen, die die rechte Hirnhälfte bewusst machen und auf Trab bringen.
+ Schaltet Auge und Hirn auf reine Wahrnehmung, übt zu sehen, wie etwas geformt ist.
- (ich finde keine Nachteile...)


3 Auf den Kopf Gestelltes zeichnen
Diese Methode schaltet das gewohnte Urteilen nahezu aus und schult das Sehen des Gesamten.
+ Überlistung der Kontrollbedürfnisse und Gewohnheiten.
- Nicht so ohne Weiteres mit realen Studienobjekten machbar.


4 Blindzeichnen
Zugegebenermassen mein persönlicher Favorit. Sie werden erlebt haben, dass man tatsächlich genauer Hinzuschauen lernt, wenn man die Hürde der Verunsicherung überwunden hat. 
+ Synchronisiert Auge und Hand unter Umgehung allzu starker Einsprüche des inneren Kontroletti. Mit der Zeit gleicht sich die Bilanz von Kontrollblicken auf das Zeichenblatt und Blicken auf das Modell aus. Ziel sollte sein, mehr auf das Modell als auf das Zeichenblatt zu schauen.
- Ohne Modell geht gar nichts.


5 Negativer Raum
Eine Methode, die sich bei sehr komplizierten und stark gegliederten Objekten eignet, bei der man versucht, nicht das Objekt selbst, sondern die leere Umgebung zu erfassen und zu zeichnen.
+ Man sieht und lernt, dass sich die Dinge immer in einer Umgebung befinden und diese die Dinge auch definiert. Figur und Grund ergänzen sich zu einem Ganzen.
- Räumliches wird sehr stark auf Scherenschnittartiges, Flaches reduziert.


Vorteile aller 5 Methoden:
Insgesamt führt die Anwendung jeder dieser Methoden unweigerlich dazu, allmählich die Dinge um uns wirklich und ohne Klischees sehen zu lernen.
Das Sehen muss man lernen. Das Sehen kann man lernen.
Als Zeichner können Sie jederzeit auf eine oder gar gleich alle Methoden auf einmal bauen, je nach Situation und Aufgabe.




Nachteile dieser Methoden:
Sie erarbeiten hiermit ein Sehen, das jederzeit ohne jedes Wissen um die kulturell vermittelten Seh- und Zeichenmethoden auskommt. Aber: Sobald Sie kein Modell vor Augen haben und aus der Erinnerung oder dem Kopf zeichnen wollen, nutzen Sie Ihnen gar nichts. Sie sind also stark mit Ihren Sinnen verbunden und weniger mit Ihrem Denken. 


Womit wir an dieser Stelle am Ende von Einheit 2 angelangt sind.
In Einheit 3 stelle ich Ihnen diese kulturell und traditionell vermittelten Zeichenmethoden vor. 




Auf eine Rangfolge verzichte ich, stattdessen möchte ich Sie ermuntern, diese wie ich finde sehr effektiven Methoden weiterhin zu üben und in Ihrem Skizzenbuch häufig anzuwenden.




Techniken des Zeichnens:


An diesem Abend habe ich Ihnen die Verwendung unterschiedlicher Zeichenfedern vorgeführt und Ihnen zum Ausprobieren gegeben. Wenn es auch anfangs schwieriger erscheint, unterstützt das Zeichnen mit der Feder die Entwicklung eines guten Strichs. Gerade die Übungen zum Konturzeichnen eignen sich besonders gut dafür. Insbesondere das häufige Eintauchenmüssen z. B. unterstützt nebenbei auch noch, dass man nicht zu eilig Linien "hinhaut", sondern geduldig und langsam arbeitet.

Wenn Sie feststellten, dass das Federzeichnen "Ihr Ding" (einige von Ihnen habe ich da im Auge...) ist, dann empfehle ich Ihnen diesen Händler, der alte und gut brauchbare Zeichenfedern verkauft. Alles, was Sie sonst so üblicherweise im Schreibwarenhandel oder sogar bei boesner bekommen, ist absolut untaugliche, schlecht produzierte Ware, weil diese Kultur seit Jahrzehnten perdü ist...

http://www.kalligraphie.ch
Schreibfedern, Spitzfedern, Zeichenfedern sind die richtigen Rubriken!






Warmups:


- Alle Linienarten (Gerade, Gebogene, Unregelmässige) sollten Sie mit der Feder zeichnen und damit locker und entspannt ein Blatt füllen. Das Ziel dabei ist es, sich mit der Feder vertraut zu machen.


Übungen:
Als Zusammenfassung der o.g. Methoden, zeichneten Sie dieses Mal alle auf dem Tisch ausgebreiteten Objekte je nach Belieben mit Hilfe von Tusche und Feder. Versuchen Sie sich entweder mit gestischer Zeichnung oder Blindzeichnung mit den unterschiedlich komplizierten Formen und den Einzelheiten der Strukturen und Texturen vertraut zu machen.




(Aus irgendeinem Grund habe ich es letztes Mal versäumt, Fotos Ihrer Arbeiten zu machen. Wer mag, den möchte ich bitten, heute eine Arbeit des Abends mitzubringen, dass ich das nachholen kann.)

Dienstag, 13. Dezember 2011

Einheit 2 - 4.Std, Negativer Raum am Di. 6.12.11

Die Übungen des Abends kreisten um das Phänomen des "Negativen Raumes". D.h. nachdem wir nun gelernt haben, die Grenze eines Objektes nach aussen hin zu beobachten, um so die Kontur eines Gegenstands darzustellen, lernen wir an diesem Abend, Gegenstände von ihrer Umgebung her zu sehen.
Wir stellen fest, dass die Kontur ja auch von dem umgebenden Raum her geprägt wird. Manchmal ist es leichter, einen komplizierten Gegenstand zu zeichnen, indem wir wiedergeben, welche Form der Hintergrund hat.
Zeichnen Sie einfach mal alles, was auf einem Tisch liegt so, dass Sie nur die Formen der freien Flächen des Tischs zeichnen...

Warmups:
2 x 5 1-Minutenposen, Sitzene und Stehender vor leerem Hintergrund.
2 x 5-Minutenposen, Sitzender und Stehende

Übung 1:
20 Minuten Zeichnung eines umgedrehten Hockers auf einem Tisch.


Übung 2:
20 Minuten Zeichnung einer Topfpflanze.


Es ist bei beiden Übungen insbesondere darauf zu achten, welche Form die "Löcher", also Durchsichten und damit der Hintergrund des Gegenstands hat.



Ergebnisse:






Donnerstag, 1. Dezember 2011

Einheit 2- 3.Std: Der L- und R-Modus - Di 29.11.11

Der L- und R-Modus, 
oder: Die Schwächung des Controlletti, Teil 2

Erneut ging es bei den Warmups und Übungen dieses Abends um Methoden, unsere zumeist voreingenommene Wahrnehmung und vor allem unsere vorschnellen Urteile über die Dinge der sichtbaren Welt zumindest zu schwächen, da es Ihnen sicherlich klar ist, dass wir so ohne Weiteres nicht mehr ein naives und unmittelbares WAHR-NEHMEN erleben können.

Sie haben bereits einige Ansätze dazu z.B. beim Zeichnen von Symmetriemustern, beim sog. Gestischen Zeichnen, Blindzeichnen oder dem Abzeichnen von auf den Kopf gestellten Vorlagen kennengelernt und womöglich dabei sogar schon erlebt, dass diese "Tricks" oder Verfremdungen tatsächlich einen anderen Blick auf die Dinge und damit einen anderen zeichnerischen Umgang mit dem Sichtbaren ermöglichen.

Es wird nicht genügen, dass Sie diese Phänomene intellektuell einsehen und akzeptieren können, eine tatsächliche Wirkung auf Ihre Zeichenfähigkeit werden Sie nur erreichen, wenn Sie diese z.T. sicherlich ungewohnten und verunsichernden Methoden regelmässig üben. Die Ihnen angebotenen Übungen sind durchaus etliche Male wiederholbar oder auch in Variationen auszuprobieren. Zeichnen Sie z.B. eine Reihe von Selbstportraits, indem sie sich in einem Spiegel genau anschauen und dabei das Beobachtete als seismografische Notizen "blind" festhalten.

Die Angst vor Kontrollverlust ist übrigens völlig natürlich und normal, sie ist allerdings eine Hürde, die unbedingt zu nehmen ist, auch wenn Sie möglicherweise etliche Anläufe versuchen müssen. Ich garantiere Ihnen aber, dass wirklich nichts Schlimmes bei dieser Art von Kontrollverlust droht, höchstens, dass Sie sehen lernen, wie etwas wirklich ist - und das sollte den Zeichner eigentlich interessieren, oder?
.
Ihre Arbeiten könnten also umso mehr vom wirklichen Leben und wirklicher Wahrnehmung gezeichnet sein.



Ich habe Ihnen weiterhin kurz den Inhalt zweier wichtiger Bücher der amerikanischen Autorin Betty Edwards skizziert.
Betty Edwards Ansatz ist bei der Entwicklung des Sehens sehr hilfreich. Sie geht davon aus, dass wir als Zeichner die Möglichkeit haben, uns ganz gezielt mit Hilfe oben genannter, ungewöhnlicher Haltungen und Sehweisen zumindest für kurze Zeit so etwas wie ein unmittelbares und unvoreingenommenes Sehen zu ermöglichen. 
D.h. wir versuchen es, uns die alltäglichsten Anblicke etwa einer Hand, einer Blume, eines Steins etc. für kurze Zeit so "fremd" zu machen, dass wir sie wie zum ersten Mal überhaupt sehen. 
Sicherlich klingt das nach einem vielleicht etwas zu hoch gegriffenen Versprechen, aber ich verspreche Ihnen trotzdem, dass Sie mit einiger Übung tatsächlich so etwas wie einen frischen, unverbrauchten Blick auf die Dinge entwickeln können, was für das Zeichnen unerlässlich ist.


Das wichtigste Ziel der Einheit 2 besteht also darin, sich ganz mit dem Sehen, Hinschauen und Wahrnehmen  zu beschäftigen (fällt Ihnen auf, was das Wort sagt: Für-Wahr-Nehmen! "Nehmen" vor allem!).

Und nachdem wir in der Einheit 1 schon feststellen durften, welch wunderbares, differenziert ausdrucksfähiges Werkzeug unsere Zeichenhand von Natur aus und dem Bauch heraus ist, bekommen wir in dieser Einheit dafür gleich auch noch ein noch grossartiges "Steuerinstrument" mit: Das Auge ( bzw. davon gleich deren 2 ), dem als optisches Werkzeug alles gleich Wert und gültig ist, ohne Ansehen der Person..;-)

Unsere Übungen zielen also darauf, die Verbindung der Zeichenhand mit der unvoreingenommenen Wahrnehmung Ihres Auges herzustellen.

Ich spreche hierbei von einer notwendigen "Synchronisierung" von Auge und Hand. D.h. wenn Sie es eine Weile geübt haben und das Unsicherheitsgefühl beim sog. "Blindzeichnen" zunehmend verlieren, wird sich automatisch eine Art von "seismografischer" Haltung einstellen. Was Ihr Auge sieht, wird Ihre Zeichenhand in die entsprechenden Linien, Kurven, Bögen übersetzen.
Mir ist klar, dass das ungewohnt ist und noch lange bleibt, aber mit der Zeit garantiere ich Ihnen eine deutliche Veränderung in Ihren Zeichnungen. Die Linien bekommen statt symbolischer Abstraktionen und Klischees  so etwas wie Leben eingehaucht.

Die Dinge schauen anders aus, als wir meinen.

Dass Ihr Auge, also Ihr unvoreingenommenes Hinschauen und Versenken in den Anblick der Dinge viel stärker mit der rechten Hirnhälfte und deren besonderen Leistung für das umfassende Sehen und Verstehen verknüpft sei, ist die Grundaussage des Ansatzes von Betty Edwards. Ihre Aussagen stützen sich auf Ergebnisse der Hirnforschung Ausgangs des 20.Jahrhunderts, die sie für den Zeichenunterricht nutzbar macht. Ihre Methode hat sich in der Tat als produktiv erwiesen.
Auf ihre ausführlichere Argumentation kann ich an dieser Stelle nur verweisen. Wen es in der Tiefe und eher theoretisch interessiert, dem empfehle ich, das in der Stunde genannte Buch (Garantiert Zeichnen lernen oder besser gleich amerikanisch "Drawing from the Right Side of the Brain") zu lesen.
Wer entdeckt, dass ihn dieser Ansatz tatsächlich weiterbringt, dem empfehle ich für die praktische Übung eher das genannte "Workbook" (= Arbeitsbuch) der gleichen Autorin.

Hier der Ihnen in Kopie ausgehändigte Auszug aus Betty Edward, Garantiert Zeichnen lernen, S. 56, Die zwei Hälften unsere Gehirns, der die sich in Polaritäten äussernden Leistungen unsere Gehirns beschreibt:


Warmups:

Posen:
2 x 5-1-Minute Posen Bewegungssequenz Sitzen/Aufstehen und Stehen/Gehen

2 x 5-Minuten Posen Sitzende und Stehender

Heute galt es, die Geste der Figur schnell zu erfassen und das Augenmerk auf die Veränderung in der Kontur der Gestalt zu richten. Sie können hierbei durchaus auch nur Fragmente der Posen zeichnen (Wie ein Arm aus dem Körper kommt, wie die Beine auf dem Boden stehen, welche Dehnungen und Stauchungen Stoffe zeigen usw.)





Übungen:

1) Rechte Hirnhälfte Jogging:
Zeichnen Sie eine ungegenständliche Symmetriefigur in der vorgestellten Weise, nicht zu kompliziert, aber auch nicht zu supersimpel - davon haben Sie am Ende gar nichts.
Ziel: Hiermit wecken Sie die Rechte Hirnhälfte, die genau weiss, wie herum ein Bogen zu zeichnen ist und wohin das führt...

2) Innenreise durch die Handfläche: 
Folgen Sie mit den Augen den feinen Linien und Verästelungen Ihrer Handfläche und zeichnen Sie, was Sie gerade sehen, ohne dabei auf das Zeichenblatt zu schauen.
Ziel: Durch diese einfache Form der beinahe abstrakten und filigran-poetischen offenen Zeichnung üben Sie die Verbindung von Augen und Zeichenhand. Sie können dies mit jedem einigermassen interessanten Zeichenobjekt üben, an dem es viel zu sehen gibt...und keiner muss wissen, was genau Sie da gesehen haben...d.h. Widererkennbarkeit ist nicht das Thema.)

3) Augenreise um und durch ein Sammelsurium von Dingen:
Ich habe Ihnen einen Tisch voller Dinge vor Augen gestellt, die jedes für sich sind und doch zusammen ein Ganzes bilden. 
Die Aufgabe bestand zunächst darin, den äußeren Umriss des Ganzen mit der vorgestellten Methode des an die Kontur gehefteten Blickes und der "blind" protokollierenden, seismografischen Zeichenhand festzuhalten. In einem zweiten Schritt bat ich Sie, mit der gleichen Methode einen Blickpfad quer durch das Stilleben zu nehmen und dabei aufzuzeichnen, woran entlang dabei ihr Blick wandert.
Ziel: Sehen Sie Ihr Sehen und nehmen Sie Notiz davon.




4) Erste Reise zu den Objekten:
Aus der Menge der Einzelobjekte bat ich Sie abschliessend, sich 3-4 interessante Gegenstände herauszugreifen und diese mit den bislang erarbeiteten Methoden zu zeichnen. Im Wesentlichen geht es darum, mit einfachen Gegenständen zunehmend sicherer werdend das Verhältnis von Objektbeobachtung und Übersetzung in Zeichnung zugunsten der Beobachtung oder des Sehens zu verschieben.
Ziel: Ihr Ziel sollte sein, von 10 Blicken 7 dem Objekt und 3 dem Zeichenblatt zu widmen.



Buch des Abends:

Betty Edwards,
Das neue Garantiert zeichnen lernen - WORKBOOK
19,90 €
Überall sonstwo aber auch bei Amazon
(Die deutsche Übersetzung ist leider ungeschickt oder bewusst reisserisch. 
Die Originalausgabe heisst:
Drawing on the Right Side of the Brain - was die Sache besser trifft! )

Betty Edwards Buch erschien Ende der 1970er Jahre erstmals in den USA und ist in seiner ursprünglichen Form ein wortreiches Plädoyer für eine bis dahin kaum bewusste und wenig bekannte, zunächst fragwürdige und gar esoterisch geltende Herangehensweise an das Zeichnen. Daher der Überhang an Erklärung und die relativ kleine Menge an konkreten Übungen und Beispielen.

Nachdem sich nun diese Methode weitgehend durchgesetzt hat und weltweit sehr viele Künstler und Lehrer damit arbeiten, folgte wenig später ein Arbeitsbuch/Workbook, das auf den theoretischen Hintergrund weitestgehend verzichtete und ihn nur skizziert, wo nötig.

Dieses Buch empfehle ich für die Praxis des Zeichnenlernens.