Donnerstag, 1. Dezember 2011

Einheit 2- 3.Std: Der L- und R-Modus - Di 29.11.11

Der L- und R-Modus, 
oder: Die Schwächung des Controlletti, Teil 2

Erneut ging es bei den Warmups und Übungen dieses Abends um Methoden, unsere zumeist voreingenommene Wahrnehmung und vor allem unsere vorschnellen Urteile über die Dinge der sichtbaren Welt zumindest zu schwächen, da es Ihnen sicherlich klar ist, dass wir so ohne Weiteres nicht mehr ein naives und unmittelbares WAHR-NEHMEN erleben können.

Sie haben bereits einige Ansätze dazu z.B. beim Zeichnen von Symmetriemustern, beim sog. Gestischen Zeichnen, Blindzeichnen oder dem Abzeichnen von auf den Kopf gestellten Vorlagen kennengelernt und womöglich dabei sogar schon erlebt, dass diese "Tricks" oder Verfremdungen tatsächlich einen anderen Blick auf die Dinge und damit einen anderen zeichnerischen Umgang mit dem Sichtbaren ermöglichen.

Es wird nicht genügen, dass Sie diese Phänomene intellektuell einsehen und akzeptieren können, eine tatsächliche Wirkung auf Ihre Zeichenfähigkeit werden Sie nur erreichen, wenn Sie diese z.T. sicherlich ungewohnten und verunsichernden Methoden regelmässig üben. Die Ihnen angebotenen Übungen sind durchaus etliche Male wiederholbar oder auch in Variationen auszuprobieren. Zeichnen Sie z.B. eine Reihe von Selbstportraits, indem sie sich in einem Spiegel genau anschauen und dabei das Beobachtete als seismografische Notizen "blind" festhalten.

Die Angst vor Kontrollverlust ist übrigens völlig natürlich und normal, sie ist allerdings eine Hürde, die unbedingt zu nehmen ist, auch wenn Sie möglicherweise etliche Anläufe versuchen müssen. Ich garantiere Ihnen aber, dass wirklich nichts Schlimmes bei dieser Art von Kontrollverlust droht, höchstens, dass Sie sehen lernen, wie etwas wirklich ist - und das sollte den Zeichner eigentlich interessieren, oder?
.
Ihre Arbeiten könnten also umso mehr vom wirklichen Leben und wirklicher Wahrnehmung gezeichnet sein.



Ich habe Ihnen weiterhin kurz den Inhalt zweier wichtiger Bücher der amerikanischen Autorin Betty Edwards skizziert.
Betty Edwards Ansatz ist bei der Entwicklung des Sehens sehr hilfreich. Sie geht davon aus, dass wir als Zeichner die Möglichkeit haben, uns ganz gezielt mit Hilfe oben genannter, ungewöhnlicher Haltungen und Sehweisen zumindest für kurze Zeit so etwas wie ein unmittelbares und unvoreingenommenes Sehen zu ermöglichen. 
D.h. wir versuchen es, uns die alltäglichsten Anblicke etwa einer Hand, einer Blume, eines Steins etc. für kurze Zeit so "fremd" zu machen, dass wir sie wie zum ersten Mal überhaupt sehen. 
Sicherlich klingt das nach einem vielleicht etwas zu hoch gegriffenen Versprechen, aber ich verspreche Ihnen trotzdem, dass Sie mit einiger Übung tatsächlich so etwas wie einen frischen, unverbrauchten Blick auf die Dinge entwickeln können, was für das Zeichnen unerlässlich ist.


Das wichtigste Ziel der Einheit 2 besteht also darin, sich ganz mit dem Sehen, Hinschauen und Wahrnehmen  zu beschäftigen (fällt Ihnen auf, was das Wort sagt: Für-Wahr-Nehmen! "Nehmen" vor allem!).

Und nachdem wir in der Einheit 1 schon feststellen durften, welch wunderbares, differenziert ausdrucksfähiges Werkzeug unsere Zeichenhand von Natur aus und dem Bauch heraus ist, bekommen wir in dieser Einheit dafür gleich auch noch ein noch grossartiges "Steuerinstrument" mit: Das Auge ( bzw. davon gleich deren 2 ), dem als optisches Werkzeug alles gleich Wert und gültig ist, ohne Ansehen der Person..;-)

Unsere Übungen zielen also darauf, die Verbindung der Zeichenhand mit der unvoreingenommenen Wahrnehmung Ihres Auges herzustellen.

Ich spreche hierbei von einer notwendigen "Synchronisierung" von Auge und Hand. D.h. wenn Sie es eine Weile geübt haben und das Unsicherheitsgefühl beim sog. "Blindzeichnen" zunehmend verlieren, wird sich automatisch eine Art von "seismografischer" Haltung einstellen. Was Ihr Auge sieht, wird Ihre Zeichenhand in die entsprechenden Linien, Kurven, Bögen übersetzen.
Mir ist klar, dass das ungewohnt ist und noch lange bleibt, aber mit der Zeit garantiere ich Ihnen eine deutliche Veränderung in Ihren Zeichnungen. Die Linien bekommen statt symbolischer Abstraktionen und Klischees  so etwas wie Leben eingehaucht.

Die Dinge schauen anders aus, als wir meinen.

Dass Ihr Auge, also Ihr unvoreingenommenes Hinschauen und Versenken in den Anblick der Dinge viel stärker mit der rechten Hirnhälfte und deren besonderen Leistung für das umfassende Sehen und Verstehen verknüpft sei, ist die Grundaussage des Ansatzes von Betty Edwards. Ihre Aussagen stützen sich auf Ergebnisse der Hirnforschung Ausgangs des 20.Jahrhunderts, die sie für den Zeichenunterricht nutzbar macht. Ihre Methode hat sich in der Tat als produktiv erwiesen.
Auf ihre ausführlichere Argumentation kann ich an dieser Stelle nur verweisen. Wen es in der Tiefe und eher theoretisch interessiert, dem empfehle ich, das in der Stunde genannte Buch (Garantiert Zeichnen lernen oder besser gleich amerikanisch "Drawing from the Right Side of the Brain") zu lesen.
Wer entdeckt, dass ihn dieser Ansatz tatsächlich weiterbringt, dem empfehle ich für die praktische Übung eher das genannte "Workbook" (= Arbeitsbuch) der gleichen Autorin.

Hier der Ihnen in Kopie ausgehändigte Auszug aus Betty Edward, Garantiert Zeichnen lernen, S. 56, Die zwei Hälften unsere Gehirns, der die sich in Polaritäten äussernden Leistungen unsere Gehirns beschreibt:


Warmups:

Posen:
2 x 5-1-Minute Posen Bewegungssequenz Sitzen/Aufstehen und Stehen/Gehen

2 x 5-Minuten Posen Sitzende und Stehender

Heute galt es, die Geste der Figur schnell zu erfassen und das Augenmerk auf die Veränderung in der Kontur der Gestalt zu richten. Sie können hierbei durchaus auch nur Fragmente der Posen zeichnen (Wie ein Arm aus dem Körper kommt, wie die Beine auf dem Boden stehen, welche Dehnungen und Stauchungen Stoffe zeigen usw.)





Übungen:

1) Rechte Hirnhälfte Jogging:
Zeichnen Sie eine ungegenständliche Symmetriefigur in der vorgestellten Weise, nicht zu kompliziert, aber auch nicht zu supersimpel - davon haben Sie am Ende gar nichts.
Ziel: Hiermit wecken Sie die Rechte Hirnhälfte, die genau weiss, wie herum ein Bogen zu zeichnen ist und wohin das führt...

2) Innenreise durch die Handfläche: 
Folgen Sie mit den Augen den feinen Linien und Verästelungen Ihrer Handfläche und zeichnen Sie, was Sie gerade sehen, ohne dabei auf das Zeichenblatt zu schauen.
Ziel: Durch diese einfache Form der beinahe abstrakten und filigran-poetischen offenen Zeichnung üben Sie die Verbindung von Augen und Zeichenhand. Sie können dies mit jedem einigermassen interessanten Zeichenobjekt üben, an dem es viel zu sehen gibt...und keiner muss wissen, was genau Sie da gesehen haben...d.h. Widererkennbarkeit ist nicht das Thema.)

3) Augenreise um und durch ein Sammelsurium von Dingen:
Ich habe Ihnen einen Tisch voller Dinge vor Augen gestellt, die jedes für sich sind und doch zusammen ein Ganzes bilden. 
Die Aufgabe bestand zunächst darin, den äußeren Umriss des Ganzen mit der vorgestellten Methode des an die Kontur gehefteten Blickes und der "blind" protokollierenden, seismografischen Zeichenhand festzuhalten. In einem zweiten Schritt bat ich Sie, mit der gleichen Methode einen Blickpfad quer durch das Stilleben zu nehmen und dabei aufzuzeichnen, woran entlang dabei ihr Blick wandert.
Ziel: Sehen Sie Ihr Sehen und nehmen Sie Notiz davon.




4) Erste Reise zu den Objekten:
Aus der Menge der Einzelobjekte bat ich Sie abschliessend, sich 3-4 interessante Gegenstände herauszugreifen und diese mit den bislang erarbeiteten Methoden zu zeichnen. Im Wesentlichen geht es darum, mit einfachen Gegenständen zunehmend sicherer werdend das Verhältnis von Objektbeobachtung und Übersetzung in Zeichnung zugunsten der Beobachtung oder des Sehens zu verschieben.
Ziel: Ihr Ziel sollte sein, von 10 Blicken 7 dem Objekt und 3 dem Zeichenblatt zu widmen.



Buch des Abends:

Betty Edwards,
Das neue Garantiert zeichnen lernen - WORKBOOK
19,90 €
Überall sonstwo aber auch bei Amazon
(Die deutsche Übersetzung ist leider ungeschickt oder bewusst reisserisch. 
Die Originalausgabe heisst:
Drawing on the Right Side of the Brain - was die Sache besser trifft! )

Betty Edwards Buch erschien Ende der 1970er Jahre erstmals in den USA und ist in seiner ursprünglichen Form ein wortreiches Plädoyer für eine bis dahin kaum bewusste und wenig bekannte, zunächst fragwürdige und gar esoterisch geltende Herangehensweise an das Zeichnen. Daher der Überhang an Erklärung und die relativ kleine Menge an konkreten Übungen und Beispielen.

Nachdem sich nun diese Methode weitgehend durchgesetzt hat und weltweit sehr viele Künstler und Lehrer damit arbeiten, folgte wenig später ein Arbeitsbuch/Workbook, das auf den theoretischen Hintergrund weitestgehend verzichtete und ihn nur skizziert, wo nötig.

Dieses Buch empfehle ich für die Praxis des Zeichnenlernens.



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