Sonntag, 4. März 2012

2.Semester, Teil1: Fläche, Komposition, Stilleben 1 - 28.2.12



Die Komposition einer Zeichnung.

Machen Sie sich bitte keine Illusionen: Nichts, aber auch gar nichts, was Sie je an von  Menschen hergestellten Bildern gesehen und sich gemerkt haben, ist zufällig so gestaltet, sondern ist immer in irgendeiner Weise bewusst visuell so konzipiert und mit mehr oder weniger Stimmigkeit so arrangiert worden, wie der Produzent des Bildes es gewollt hat.
Seien es nun Bilder aus der langen Geschichte der Kunst bis hin zu den mehr oder weniger kompositorisch gelungenen Fotos in heutigen Publikationen.
Entweder sind diese geprägt von den Seherwartungen und Konventionen der Zeit, in der das jeweilige Bild entstand, oder geprägt von dem Antrieb des Produzenten, eine neue und persönliche Sicht der Dinge zu zeigen.
Kein über ein Bild vermittelter Anblick - zumindest bis zur Erfindung der Fotografie -  war und ist je zufällig (höchstens ungeschickt formuliert...), und selbst mit einem Fotoapparat in der Hand ist es schwer, eine rein zufällige und nicht von Absichten gesteuerte Ansicht der Welt zu fabrizieren. Fragen Sie notfalls dazu Fotografen oder andere visuelle Gestalter...

Spätestens dann, wenn Sie auf ein zufällig entstandenes oder ganz arg schlecht fotografiertes Bild schauen, werden Sie spontan anfangen, es irgendwie zu

ORDNEN  

d.h. Sie werden versuchen, eine Botschaft, eine Anordung, ein Nacheinander, eine Hierarchie der Bedeutung hineinzusehen, notfalls sogar zu erfinden, um das Chaos der um Bedeutung ringenden Elemente des Bildes irgendwie zu bändigen. 
Also machen Sie sich klar: wir tragen unser Bedürfnis nach Bedeutung und Ordnung wie von selbst und geradezu zwanghaft in die Bilder, oder mit anderen Worten:  Das Sehen sucht Sinn und notfalls produziert es ihn.

Und das ist der Beginn des bildnerischen Komponierens.

Mit Fug und Recht können Sie nun aber einwenden, dass man beim spontanen Zeichnen sowieso immer schon mit dem Anordnen von Bildelementen beschäftigt ist. Mehr oder weniger bewusst schafft man immer irgendeine Form von Ordnung, indem man zeigt, wo oben und unten, vorne und hinten und was gross und klein ist - Richtig!

Ich habe mir nur das vielleicht verwegene Ziel gesetzt, Ihnen mit den Übungen der nächsten 3 Abende bewusst zu machen, wie dies funktioniert, was dabei geschieht und wie man es anstellen kann, nicht spontan in die Falle von altbekannten (und damit oft ungeschickten oder gar langweiligen) Sehklischees zu tappen, um evtl. sogar Ihre eigene Sicht auf die Dinge zu entwickeln und in Ihren Zeichnungen zu zeigen. 


Ich bin mir sicher, dass Sie von sich aus "aus dem Bauch" heraus immer eine Idee haben werden, wie sie irgendwie ein Arrangement von Dingen in Szene setzen können, aber genau um dieses Irgendwie geht es mir.
Ziel des ersten Teiles ist es, Ihnen Werkzeuge an die Hand zu geben, wie Sie zunehmend bewusstere und im Laufe der Zeit vielleicht sogar interessantere Ansichten der Dinge so zeichnerisch inszenieren können, dass Sie Ihre Sicht der Dinge zeigen.

Nebenbei: 
Als Zeichner und Maler dürfen Sie heutzutags ALLES, nur eines nicht: Langweilen!
Es sei denn, das genau ist Ihr persönliches Ziel - das wäre auch OK, aber evtl. der Müh nicht Wert...;-)


Warum Stilleben? 

Naheliegenderweise üben wir einfache Kompositionen zuerst anhand von Dingen, die den Vorzug haben, eine Weile still zu stehen und nicht zu wackeln. Das ist eine der Stärken des Genres Stilleben, neben der Tatsache, dass wir ggf. beim Betrachten der Dinge über ihr Dasein und Sosein anfangen nachzudenken. (dt. Stilleben, frz. Nature Morte. ..)

In der ersten Stunde haben wir Stilleben auf Grundkörper wie Kugel, Quader, Zylinder, Würfel, Pyramide reduziert, um das Prinzip des Komponierens (Zusammen- und Hinstellens, Nebeneinanderlegens) ohne Ablenkung durch die Bedeutung oder Oberflächenqualitäten der Dinge zu begreifen. Zudem zeigen diese auch einfacher und deutlicher die räumliche Konstruktion und Perspektive, was ja nebenbei nach wie vor unser Thema ist. 
Sehen Sie also vorerst diese Grundkörper an wie "Container", d.h. Platzhalter für die in der Realität etwa ähnlich geformten Dinge.
( Ja klar, sind diese erst einmal arg abstrakt und für manchen sogar eher hässlich und langweilig, aber enorm lehrreich - und manchem Ding in der  realen Welt auch ziemlich arg nah...)

Zu den gedanklichen Hintergründen des Genres "Stilleben", das kunstgeschichtlich betrachtet ein recht junges ist, werde ich Ihnen im Laufe der nächsten Wochen noch mehr erzählen.


Komposition mit einfachen Mitteln:

Um Ihnen vor Augen zu führen, wie das kompositorische Denken geradezu spielerisch begonnen werden kann, habe ich Ihnen folgende Vereinfachungen und Hilfsmittel demonstriert, anhand derer im Prinzip jede Form von bildnerischer Komposition geübt werden kann:



Mit dieser in Google Sketchup (kostenlose 3D-Software für Windows und Mac) produzierten Animation einfacher Grundkörper, wollte ich Sie davon überzeugen, dass selbst aus langweiligen Gegenständen durch Wahl des Ausschnitts und Blickwinkels etwas Interessantes, vielleicht sogar Dramatisches entstehen kann. Ich habe hier zunächst völlig wahllos einige Grundkörper auf einer Fläche verteilt und suche Ansichten, die spannende Konstellationen zeigen. Das Ganze erinnert an Vielerlei: Stadtansichten, Bauklotzlandschaften, simple Stilleben, Bühnenaufbau, der Blick in mein Atelier Freitagabends (natürlich nur die Container der Dinge, die ich hier lieber für mich behalte ;-),  etc.




Empfohlenes Vorgehen bei der Anlage einer Stilleben-Zeichnung:

1. Vereinfachen Sie generell beim Aufbau und Zeichnen eines Stillebens, indem Sie zunächst immer die zugrundliegenden Grundkörper und deren Lage und Grösse erfassen. Jeder Gegenstand in der realen Welt kann auf einen oder zusammengesetzte Grundkörper reduziert werden. Das gilt sowohl für Stilleben, aber auch bei Landschaften und sogar beim Zeichnen menschlicher Körper. 
Cezannes Ausspruch, dass sich alles in der Natur im Kern auf Kubus, Kugel und Zylinder reduzieren lässt, ist nach wie vor absolut richtig.
Das Fazit dieses Schrittes: Komponieren heisst vereinfachen, reduzieren.

2. Arbeit mit einem "Sucher" (der anderswo auch "Finder" genannt wird).
Aus Karton schneiden Sie 2 L-förmige Streifen, die Sie so zueinanderführen, dass ein verschiebbares, variables Bildfenster entsteht. Mit diesem Hilfsmittel schneidet man aus dem komplizierten Gesamt eines Anblicks den für Sie interessanten Ausschnitt heraus, der für Ihre Komposition wichtig ist.
Fazit: Weniger ist oft mehr. Suchen Sie das Element, das einen Anblick interessant macht. Ich nenne das ein "visuelles Drama", oder: Wo ist der Plot? Die Geschichte, die Sie erzählen wollen?

3. Sie skizzieren mehrere Varianten der Komposition, indem Sie verschiedene Blickwinkel, Arrangements, Aufteilungen in max. 3x4 cm grossen sog. "Daumennagelskizzen" (engl. thumbnails) festhalten.
Dabei zeichnen Sie nur sehr grob mit einem schwarzen Stift (Filzstift ist dafür prima geeignet), den groben Plan in Hell und Dunkel. So sehen Sie sofort, ob eine Aufteilung funktioniert oder nicht. Zum Hintergrund dieser Methode nächste Woche mehr.
Fazit: Zeichnen Sie nicht die erstbeste Lösung, die Ihnen einfällt, sondern probieren Sie aus, was der Gegenstand aus anderen Blickwinkeln hergibt.

Hier Beispiele solcher "Daumennagelskizzen" aus einem meiner Skizzenbücher:

Landschaftsskizzen



Portrait- und Blumenstilleben-Skizzen


Der Vorzug der vorgestellten Methode ist, dass man sich damit viele Stunden vergeblicher Zeichenmühen spart, da man so sehr schnell feststellen kann, ob sich eine stundenlange Arbeit überhaupt lohnt oder die Komposition von vornherein verfehlt ist.



Übungen des Abends:


SPIELEN:
1. Warmzeichnen auf eigene Faust.

2. Nachkritzeln aus Daucher S.24f - diesmal auf höherem Niveau. Es ging darum, für sich herauszufinden, wie man aus dem Bauch heraus ein Format aufteilt und ob das dann irgendwie spannend oder einfach nichts ist...


STUDIUM:
3. Einüben des oben beschriebenen Vorgehens anhand simpler Grundkörper-Stilleben.


WERK:
Ziel des Abends (als Hausarbeit evtl. auszuführen): 
A4 Zeichnung eines einfachen Grundkörper-Stillebens aus Kugel, Kubus, Zylinder etc., das mit der oben geübten Methode komponiert ist und mit der Hell-Dunkel-Schraffur (weisser Stift und Bleistift) auf mittelgrauem Papier oder Packpapier ausgeführt wird.
Weniger ist mehr!


Apropos: Die 3 Schritte "Spiel-Studium-Werk" habe ich Ihnen als 3 notwendige "Stationen" in der Aneignung und Entwicklung der eigenen Arbeit erklärt. Wir werden diese im ganzen Semester so beibehalten.
Ich halte viel davon, nicht bei Spiel oder Studium stehen zu bleiben, sondern seine Erfahrungen dann am Ende in einer fertigen Arbeit zu bündeln und vorzeigbar zu machen. So dokumentieren Sie sich auch selbst den Weg von der spielerischen Annäherung über das genauere Ergründen bis zum signierten Bild - das ohnehin dann immer nur wieder Ausgangspunkt für etwas Anderes oder Besseres ist...

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen