Sonntag, 13. November 2011

Einheit 1 - Textur, 4.Std. Di 8.11.2011

Nachdem wir in der vergangenen Stunde mit grosszügigem und entspanntem Blick auf das "Grosse Ganze" zu achten lernten, steht diesmal das Gegenteil an (Sie sehen schon, ich mag es, in Gegensätzen/Polaritäten zu denken):
Der geduldige, scharfe Blick auf das allerkleinste Detail.

Im Kern geht es um die zeichnerische Feinstruktur, d.h. statt wie bisher locker zu kritzeln, sollen sie heute geduldig ins allerkleinste Detail der Zeichnung gehen.
Ihre Phantasie ist gefragt, wenn Sie so viele Kleinstelemente, Kürzel aus allen nur denkbaren visuellen Bereichen zusammenstellen:
- Schriftzeichen, zerlegt in ihre Kleinstbausteine
- Hieroglyphen, alte Schriftsysteme (Keilschrift etwa...)
- Pünktchen, Häkchen, Schnörkel aller Art und Grösse
- Zeichen, wie man sie auf Landkarten verwendet
- Ornamente
- Botanische, mathematische oder sonstige Kürzel

All das birgt Elemente, die Sie für Ihre Zeichnungen nutzen sollten. Es geht darum, geduldig eine Oberfläche, ein Gewebe und Gewimmel von Kleinstformen miteinander so zu verweben, dass diese eine lebendige Struktur wie aus einem feinen Stoff ergeben. Das Verlangt natürlich Durchhaltevermögen.
Halten Sie sich die gezeigten Ausschnitte aus Gustave Dorés Stichen vor Augen, die unglaublich akribisch bis ins feinste Detail durchgearbeitet sind. Es darf durchaus geschehen, dass Sie dabei meditativ und wie in Trance arbeiten.

Beobachten Sie ab jetzt und für immer (;-)) Muster aller Art, sammeln Sie Ornamente. Beobachten Sie, wie Zeichner auf detaillierten Radierungen die Oberflächen der Dinge mit Hilfe unzähliger addierter Kleinstformen wiedergeben, um so die Erscheinung von bestimmten Materialien nachzuahmen.

Es geht diesmal auch um den langen Atem, die Geduld, eine grosse Fläche langsam zu Ende zu zeichnen. Es geht auch um pfiffige Strategien, nur den Anschein davon zu erwecken, indem man an den entsprechenden Stellen weglässt und es der Phantasie des Betrachters überlässt, das angefangene Muster im Geist zu ergänzen.
Die Ihnen ausgeteilte Kopie aus dem Daucher zeigt diese Strategie deutlich, hier ist weniger gezeichnet, als man zunächst annimmt!


Warmups bzw. Lockerungsübungen:

1. Kreisförmig gebogene Linien, 
die möglichst nahezu ungefähr einen Kreis bilden. Das ganze Blatt 60x40 cm füllen. Kreise auch in- und übereinander zeichnen. Evtl. sich zu Figuren inspirieren lassen. Schauen Sie, was Ihr Auge daraus macht. Eiformen sind OK. Ovale auch (Es gibt einen Unterschied!).
Probieren Sie es aus, den Startpunkt der Kreislinie an verschiedenen Punkten zu setzen.
Ich habe Ihnen vorgeschlagen, das Zifferblatt einer Uhr als Startpositionsmarken zu denken: Sind Sie der 10 Uhr oder der 6 Uhr Typ? Rechts- oder Linksdrehender? Finden Sie es heraus! Was geschieht mit dem Kreis, wenn Sie ihn in einer Ihrer Gewohnheit entgegengesetzten Richtung und von ungewohntem Startpunkt aus zeichnen? Etwa bei 4 Uhr beginnend gegen den Uhrzeigersinn?

2. Unregelmässige Linien
Ähnlich wie bei einer unserer ersten Übungen "Wilde Gewächse" bitte ich Sie, das Blatt zu füllen mit allen Arten von unregelmässigen Linien, die sich von unten nach oben und umgekehrt vertikal und horizontal zu den  Seiten entwickeln, sodass sich ein "Mürbes Gewebe" ergibt.
Sie wenden selbstverständlich das Gelernte über Druckunterschiede an...
Drehen Sie beim Zeichnen gelegentlich Ihren Stift schon während Sie die Linie produzieren, es ergeben sich so besonders mit groben Zeichenwerkzeugen eine ganze Reihe "zufälliger", unregelmässiger Linien, die von sich aus schon sehr an natürliche Linien erinnern.

3. Komposition aus Buchstaben
Das ist eine Vorübung für das Zeichnen von Texturen. (Sehen Sie die Verbindung von "Text" und "Textur"? Es geht um Gewebe...)
Nehmen Sie Ihren Namen oder sonst ein geläufiges Wort, schreiben Sie die einzelnen Buchstaben in alle Richtungen, in verschiedener Grösse, mal verkehrt herum, mal nur Fragmente eines Buchstabens, verbinden Sie die entstehenden Flächen zu Figuren, zerlegen Sie die Buchstaben in ihre Bestandteile: Pünktchen, Haken, Kreuzung, Bogen und spielen Sie den ganzen Vorrat an Figuren in allen Grössen und Richtungen durch!

Dies gilt immer: SPIELEN SIE, setzen Sie sich nicht unter Druck! Zeichnen gehört in den Bereich der MUSE, nicht MUSSE!


Übung des Abends:

Ich habe Ihnen 2 mögliche Themen gegeben, die Sie formatfüllend auf einem grossen Zeichenblatt anfangen sollten (da es sehr kleinteilig zugehen sollte, wird Ihnen nichts anderes übrig bleiben, als die Zeichnung geduldig und mitunter auch nur minutenweise zu Hause fertigzustellen - aber bitte stellen Sie sie fertig, Ihnen selbst zuliebe...):

- 1000 Märchenhafte Blüten von oben gesehen
(Das Thema erklärt sich von selbst, oder?)

- Schlacht der Mikroben
Ihr Zeichenblatt ist der Kampfplatz der guten und bösen Kleinstformen, es entspinnen sich in wechselnder Verdichtung Auseinandersetzungen unzähliger Formen, es gibt Hindernisse und leere Flächen, um die der Kampf entbrennt...




Buch des Abends:


Dieter Brembs, Faszination Linie - Zeichnung neu erleben, Wiesbaden 2006, 34,80 €
hier bei Amazon (gibt es aber auch in allen anderen Buchläden...)
(leider teuer, da Nischenprodukt, die Bücher des Englisch-Verlages in Wiesbaden sind aber dafür wenigstens sehr gut gestaltet)
Wen es nun ganz genau interessiert und seiner Linie auf die Spur kommen möchte, ist bei Prof. Brembs (Uni Mainz) gut aufgehoben. Hier geht es etwas analytischer zu und ziemlich in die Details, akademisch geradezu, aber absolut spannend und gar nicht trocken. Viele gute und klare Abbildungen.


Künstler des Abends:

Horst Janssen
Dubuffet
Paul Klee
Gustave Doré

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