- Zeit:
Regelmässig, aber nie zu lange. Lieber eine qualitätsvolle halbe Stunde, als 2 Stunden Selbstquälerei. Versuchen Sie sich aber, ritualisierte, also wiederkehrende Übungszeiten zu schaffen, damit Ihr Körper quasi automatisch schon danach verlangt...der Rest kommt dann nach.
Zeichnen lernt man wie Autofahren, die gefahrenen Kilometer machen den Unterschied.
Leider habe ich noch kein Osmoseverfahren zum Zeichnenlernen entwickeln können, dass Ihnen hier eine Abkürzung verschaffte.
- Raum:
Schaffen Sie sich einen Ort, der Ihnen, aber auch anderen zeigt, dass Ihnen Zeichnen wichtig ist. Wenn es nicht anders möglich ist, tut es natürlich eine wegräumbare Tischstaffelei und eine Box für Werkzeuge - aber letztlich brauchen Sie die Erinnerung, die von einem Ort ausgeht. Ihre Gedanken fangen dann von selbst an, um die Zeichenprobleme zu kreisen, wenn Sie sie an einer festen Stelle der Wohnung dauernd vor Augen haben.
Ausreichend Licht von links für Rechtshänder, genug Raum zum Zurücktreten, wenigstens eine schiefgestellte Zeichenplatte auf der Tischkante, besser noch aber eine Staffelei oder gar ein richtiger Zeichentisch, eines Tages.
- Was üben?
Jetzt schon haben Sie mit den Warmups der vergangenen Stunden ein Programm für viele Monate - und jede Woche kommen weitere hinzu.
Sie müssen sich das Üben auch eines Meisters des Zeichnens vorstellen wie bei einem Musiker oder Sportler. Es gibt eine Menge an ständiger Schulung der Geläufigkeit, quasi Tonleitern, Streck- und Dehnübungen, Kraft- Und Loslassübungen, die auch nach Jahrzehnten noch relevant sind.
Ich schlage Ihnen für den Anfang folgende 3 Teile vor:
- Ein Viertel der Gesamtübezeit Warmups ins Sudelheft, d.h. so anspruchslos und niederschwellig wie möglich. Zeichnen Sie Ihren täglichen Misthaufen (die Kürbisse wachsen von selbst da raus...)
- Ein weiteres Viertel Seh-Übungen (analog zu unseren Menschenzeichnungen). So schlecht und simpel am Anfang wie möglich! Das meine ich total Ernst.
Am Anfang stressen Sie sich bitte nicht mit dem scheiternden Versuch zur Abbildgenauigkeit, es geht hier erst einmal überhaupt darum, zu schauen, sich Zeit zu nehmen, einfache alltägliche Dinge anzuschauen und deren "Geste", d.h. ihren Ausdruck, Richtung, Kraft etc. zu erfassen, also nicht, wie etwas genau ausschaut (da verlieren Sie sofort gegen jeden billigen Fotoapparat), sondern, was die Dinge tun, WIE sie sind. Und besonders spannend wird das bei Tier und Mensch!
Diese Arbeit eignet sich sehr gut für das Skizzenbuch!
- Die verbleibende Hälfte sollten Sie schon gleich von Beginn an dafür verwenden, das Gelernte in konzentriert und bewusst als Werke konzipierte, fertige und signierte Arbeiten zu investieren. Alle Warmups des Teil 1 sind auch als Reihen und vollendet komponierbare Arbeiten denkbar. Gewöhnen Sie sich rechtzeitig daran, ihre Studien, Übungen und Skizzen zu verwerten!
Am Ende dann ein Passepartout darum und in einer Mappe sammeln.
So lernt man auch, sich ernst zu nehmen im Wunsch, das Zeichnen zu lernen.
Einheit 1 und Einheit 2 im Zusammenhang:
Thema der Einheit 2, Überblick:
Der seltsame Titel dieser Einheit wird sich Ihnen nach und nach erklären.
Paradoxerweise hat die Autorin, auf die ich mich in dieser Einheit vornehmlich stütze, in den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts ein sehr umfangreiches theoretisches Buch geschrieben, um eine Zeichenmethode zu erklären, deren Anwendung durch Beschreibung eher erschwert wird, weil die Beschreibung genau die Instanz des Gehirns anspricht, die dieser speziellen Art der Wahrnehmung entgegensteht.
Es ist nicht das erste und nicht das letzte Paradoxon, das ich Ihnen zumuten werde. Die Kunst ist an sich schon ein Paradoxon, überhaupt und sowieso...
Es wäre also nun widersinnig, wenn ich Ihnen wie sonst erst eine Erklärung und Theorie voranschickte, um dann von Ihnen zu verlangen, dass Sie die Erklärung besser gleich wieder vergessen, um aus einer anderen Region des Gehirns und der Wahrnehmung arbeiten zu können.
Ich verlasse mich also vorerst darauf, dass Sie spüren und erfahren werden, was sich dahinter verbirgt. D.h. wir werden die ersten beiden Stunden (15. und 21.11.) mit praktischen Übungen beginnen, die Sie hoffentlich stutzig werden lassen. Die Theorie dazu folgt dann in der 3. Stunde am 28.11.
Mit den Warmups bzw Lockerungsübungen zur Einheit 2 werde ich Sie überfordernd und provozierend vielleicht in das für den Anfänger einschüchternde Thema des Menschenzeichnens einführen. Aber keine Angst, wir entwickeln dies in kleinen Schritten gemeinsam so, dass Sie auf jeden Fall zumindest interessante Erfahrungen machen werden.
Das Wichtigste zu Beginn:
Hier geht es darum, erste Bekanntschaft damit zu machen, dass Sie sich Ihren Augen, Ihrer Wahrnehmung überlassen lernen und Ihr Zeicheninstrument Ihren Beobachtungen zu folgen hat. Sie zeichnen möglichst "blind", d.h. Sie sollten sich nach und nach dazu bringen, immer weniger auf das Zeichenblatt zu sehen, sondern ganz beim Modell, dem Anblick zu verweilen und Ihre Zeichenspur eher wie eine Art "Seismogramm" geschehen zu lassen.
Fragen Sie einmal ein Modell, woran es erkennt, wer ein guter Zeichner ist. In fast allen Fällen bekommen Sie zu hören, dass der gute Zeichner mit den Augen geradezu am Modell klebt und nur selten auf sein Blatt schaut, höchstens, um Anschlusspunkte wiederzufinden, während der unsichere Zeichner kaum auf das Modell schaut und alles auf dem Blatt irgendwie in den Griff kriegen will.
Glauben Sie mir, es ist paradoxerweise wirklich so, dass Ihr Auge, wenn es Anschluss an Ihre Zeichenhand gefunden hat, besser und genauer weiss, wie es gehört, als Sie. Lassen Sie sich für ein paar Wochen auf diese eventuell beunruhigende Erfahrung ein, zu Ihrer gewohnten Methode können Sie danach immer wieder zurück.
Ich weiss, das ist auf Anhieb nicht einfach. Man wehrt sich gegen den drohenden Kontrollverlust.
Das Ziel, die Belohnung dieser erst einmal ungemütlichen Erfahrung ist eine mehr oder weniger geglückte "SYNCHRONISATION" von Auge und Hand.
Je mehr Sie sich auf das sog. Blindzeichnen einlassen, desto deutlicher wird diese Verknüpfung hergestellt.
Warmups der Einheit 2
Gestische 1-Minuten-Posen:
In dieser ersten Annäherung geht es darum, ein Modell, das jeweils für eine Minute stillsteht und "posiert", auf einfachste Weise relativ schnell zu zeichnen.
Auf dieser ersten Stufe spielt es gar keine Rolle, wie Sie das machen. Es kann so schlecht wie möglich geschehen. Ich möchte geradezu, dass Sie zuerst so schlecht wie möglich zeichnen.
Es geht also erst einmal nur darum, dass Sie
- überhaupt hinschauen lernen,
- dass Sie erleben, was 1 konzentrierte Minute bedeutet und ein Gefühl für die Zeichenzeit entwickeln,
- dass Sie einfache Unterschiede sehen lernen: Ist das Modell aufrecht, gebeugt, sitzend, liegend, gespannt, schlaff usw.
Klingt nicht nur banal, ist es auch. Aber entscheidend wird nun, dass Sie den Kern dieser Beobachtungen an Ihre Zeichenhand mitzuteilen lernen. Auf dieser ersten Stufe geht es nicht um schöne Zeichnungen von den Modellen (ob Menschen oder den Dingen um Sie herum), sondern egal wie angespannt und nervös Sie das auch machen wird, es geht darum, ein irgendwie geartetes Bündel oder Knäuel von Linien Ihrer Beobachtung entsprechend auf das Blatt zu bringen - unwichtig, ob man eine menschliche Gestalt darin erkennt oder nicht - das kommt noch! Das verspreche ich Ihnen.
Der eigentliche Lerninhalt, der unter der Hand damit entwickelt wird, ist eine Art von Mitgefühl/Empathie, die sich mit der Beobachtung entwickelt. Eine Zeichnung hat nur dann Belang, Wirklichkeit und Qualität, wenn Sie durch die Realität Ihrer Wahrnehmung gegangen ist. Sie können eine sitzende Figur nur dann erkenn- und nachfühlbar zeichnen, wenn Ihr Strich glaubhaft versichert, dass Ihnen das abgebildete Phänomen "Sitzen" bekannt ist.
("Ideomotorisches Zeichnen" möchte ich das nennen, solange ich keinen besseren Begriff kenne. Das bedeutet, dass sich quasi automatisch ein durch die Beobachtung ausgelöstes Gefühl für das Gegenüber oder den Gegenstand auf die zeichnende Hand überträgt und die Linie mitgestaltet)
Wir werden in dieser zweiten Einheit die Warmups oder Lockerungsübungen mit ca. 15-20 1-Minuten-Posen beginnen. Ich werde allerdings jedesmal eine neue Herangehensweise vorschlagen.
Am 15.11. wurden diese Posen im "Freistilzeichnen" angefertigt, d.h. aus dem Bauch heraus wie es gerade kommt...
Übungen zur Einheit 2:
1.) Profile/Pokal-Bild
Zeichnen Sie als Linkshänder auf die rechte Seite eines A4-Querformats ein menschliches Kopfprofil, das nach links schaut. Als Rechtshänder beginnen Sie auf der linken Seite, das Kopfprofil schaut nach rechts..
Benennen Sie beim Zeichnen die Teile, die Sie zeichnen: Das ist die Stirn, das ist die Nase, der Mund, das Kinn usw.
Zeichnen Sie dann die symmetrische Entsprechung auf der anderen Seite des Blattes, sodass sich beide Profile zu einer "Pokal- oder Vasenfigur" ergänzen.
Registrieren Sie, dass Ihnen bei der Anfertigung des zweiten - antwortenden - Profils völlig egal ist, WAS genau Sie da zeichnen, sondern wie sehr es viel wichtiger wird, WIE Sie es zeichnen und dass es eine ungefähre Entsprechung zum ersten Profil wird.
Sie urteilen dabei unversehens nicht mehr sachlich und logisch, sondern ästhetisch - und genau darum geh es in dieser Einheit! Das ist, so banal es zunächst auch aussehen mag, eine ganz andere Welt und eine ganz andere Herangehensweise an die Erscheinungen der Welt. Hier entspringt der Zeichner in Ihnen.
2. Offene komplexe Symmetrie
Die oben beschriebene Beobachtung können Sie anhand beliebiger Symmetriefiguren immer wieder erfahren und üben. Zeichnen Sie als Linkshänder auf die rechte Seite eine komplexe, irgendwie geformte Linie von oben nach unten und wiederholen Sie die entsprechende symmetrische Figur auf der gegenüberliegenden Seite.
Es sollte ein mehr oder weniger gelungener "Rotationskörper" entstehen.
Wenn Sie den entstandenen Zwischenraum übrigens ausfüllen mit Schraffur oder "Ausmalen", können Sie sehr schnell sehen, wie Ihnen die Symmetrie gelungen ist. Das braucht Übung. Jogging für die Rechte Hirnhälfte sozusagen.
3. Strawinsky auf dem Kopf
Anhand einer auf den Kopf gestellten Figurzeichnung Picassos des Komponisten Strawinsky erfahren Sie, dass Sie mit dieser Methode erstaunlicherweise sehr komplexe Kopien zu zeichnen in der Lage sind, die Sie sich unter normalen Umständen nie zugetraut hätten.
Der "Trick" besteht darin, dass Sie durch das Auf-den-Kopf-Stellen die vernünftige Zuordnung verstören und der Zwang zur Benennung und Identifikation der Bildteile gezielt erschwert wird, sodass er sogar ganz nachlässt.. Irgendwann gibt Ihr interner "Besserwisser" auf und lässt die ästhetische Seite des Gehirns ihre Arbeit tun...und dann erst wird es was.
Die Theorie dazu folgt noch...
Buch des Abends, als Nachklapp zur Mikrobenwelt:
Wem die Phantasie ausgeht und wer sich aus dem Schatz der Schrift- und Bilderzeichen der Weltgeschichte bedienen möchte, ist hier gut versorgt:
Carl Faulmann, Schriftzeichen und Alphabete aller Völker, 9,90€
(z.B. bei amazon hier )
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen