Montag, 12. März 2012

2.Semester, Teil1: Fläche, Komposition, Stilleben 2 - Notan und Formate - 6.3.12


Notan:
Als schnelles, praktisches Hilfsmittel und Werkzeug der Komposition habe ich Ihnen eine spezielle Methode zur Herstellung sog. "Daumennagelskizzen" gezeigt. Diese Methode wurde zu Beginn des 20. Jahrhunderts von einem amerikanischen Maler, Grafiker und Fotografen namens Arthur Wesley Dow (Ipswich, MA) entwickelt und gelehrt. Das seltsame Wort (jap.) NOTAN geht auf einen in der asiatiatischen Tuschzeichnung angestrebten Harmonie- und Balancebegriff des Ineinandergreifens von Hell und Dunkel  zurück, der eigentlich nichts weiter als "Schwarz und Weiss" bedeutet, aber durchaus ein tieferes Konzept von Raum, Harmonie und Grössenverhältnissen meint. Schwarz UND Weiss, nicht Schwarz ODER Weiss - was ein kleiner grosser und kulturell bedeutsamer Unterschied ist.
Hier sind demnach nicht nur Licht- und Grauwerte gemeint, sondern umfassendere philosophische Konzepte von der Balance der Gegensätze.
Für unsere Zwecke reicht vorläufig dieses grobe Vorwissen. Wir reduzieren diese Methode ohnehin auf das Allereinfachste und vor allem Praktischste.

Wie ich Ihnen bereits im ersten Semester vorstellte, begnügt man sich hier bei der konzipierenden Suche nach einem Zeichen- oder Malmotiv auf die einfachsten Elemente der Komposition, die man auf kleiner Fläche ( 3 x 4 cm maximal!) mit einem Satz von schwarzen und später auch grauen Stiften oder Filzschreibern möglichst vereinfacht und nicht an dem komplexen Umriss orientiert als Flecken so in der Zeichenfläche verteilt, dass sie einen "Gesamtklang" der Anlage vor Augen stellen.
("Nicht an dem komplexen Umriss orientiert" bedeutet, dass die genaue Gestalt des Objekts nicht nur völlig nebensächlich ist, sondern eher sogar hinderlich für die Beurteilung der Massen des Gesamtanblicks!)
Mit einäugig unscharf gestelltem Blick erfassen Sie dabei nur die sog. Massen des Gegenstands oder der beobachteten Szene und notieren so recht einfach und schnell etliche Varianten, die einen interessanten Anblick, eine gewisse attraktive Spannung oder eine harmonische Aufteilung von bezeichneten und leeren Stellen ergeben.

Sie haben auf diese Weise ein fixes Kompositionswerkzeug an der Hand, mit dem sie schnell erkennen können, ob eine Bildaufteilung "stimmt" oder nicht.
Da Sie sehr kleine Arbeiten erstellen, haben Sie so in kurzer Zeit die Möglichkeit, etliche Konstellationen auszuprobieren und die beste dann skribbelnd und skizzierend, d.h. detaillierend weiterzuentwickeln.
Veranschaulichen können Sie sich das Vorgehen so, wie ein Fotograf mit Digitalkamera schnell zig Aufnahmen der gleichen Situation aus etlichen Blickwinkeln macht, um die Gelungenste dann weiterzuentwickeln.

Man unterscheidet 2-wertige Notans oder Daumennagelskizzen = Schwarz auf Weiss
und Dreiwertige Notans in Schwarz-Weiss-Grau - bis hin zu 5-wertigen, die wir aber im Rahmen dieses Kurses nicht anwenden werden:




Diese Reihe veranschaulicht, wie man mit Hilfe schnell erstellter 3x4 cm großer 3-wertiger Daumennagelskizzen eine ganze  Reihe von Kompositionsentwürfen durchspielen kann, ohne dafür Tage zu brauchen, sondern nur Minuten! Ausgangspunkt war hier ein simples Stilleben mit Gefäßen, das am Ende in einer rhythmischen Komposition aus Flächen, Formen und Grauwerten gipfelte. Ich spiele so gerne alle Möglichkeiten aller Abstraktionsstufen hin und zurück durch. (Kohle/Tusche/Gouache/Deckweiss auf grauem Karton oder Leinwandstücken)


Format:

In der Regel nimmt sich der Zeichner, was gerade rumliegt und fort muss...

In fast allen Fällen wird es ein sog. DIN-Bogen Papiers sein und normalerweise denkt man sich auch dabei nicht allzu viel. Bis man erkennt, dass die Wahl eines Formats, dessen Grössenverhältnis von Länge zu Breite und die Entscheidung über eine bestimmte Ausrichtung - ob nun Hoch- oder Querformat - eine ziemliche Bedeutung für die Anlage einer Zeichnung hat. 

Spielen Sie es selbst durch, indem sie eine "Stehende" auf Querformat platzieren oder eine Landschaft in ein Hochformat bringen - Sie werden davon bestimmt und entscheiden sich sofort für jeweils andere Aspekte des Motivs.

Ich habe beobachtet, dass man als Anfänger in der Regel darauf kaum achtet. Dabei haben Sie mit den 4 Seiten eines Blattes schon die ersten entscheidenden Elemente der Zeichnung gesetzt.
Das zu Bewusstsein zu bringen, ist das Ziel des notorischen Rahmenzeichnens. 
Ich bitte Sie, das also noch solange beizubehalten, bis Sie sicher, bewusst und virtuos das Format eines Blattes einsetzen.

Ich habe Ihnen kurz demonstriert, welche geometrischen und mathematischen Verhältnisse herrschen 
- an einem Quadrat,
am Industrieprodukt DIN A 4 - Blatt, 
- einem antiquierten Oktavblatt ( dessen Massverhältnisse noch heute das amerikanische Druckpapier bestimmt), einem Bogen also, der dem Goldenen Schnitt folgt,
- sowie offenen bis extremen Hoch- und Querformaten.
Die Unterschiede sind in einigen Fällen nur scheinbar unbedeutend, aber dennoch spürbar, in anderen Fällen sogar gravierend.

Sie haben als Zeichner mit Bewusstsein die volle Wahl. Die Wahl des Formats ist schon der erste und ziemlich wichtige Schritt der Gestaltung und damit ein starkes Ausdrucksmittel.
In der Regel allerdings verfährt man so, dass man wie oben gesagt, nimmt, was rumliegt und fortmuss. Jetzt aber auf höherem Niveau.


Hot Spots, Focal Points - für die es im Deutschen anscheinend nur Bandwurmwörter zu geben scheint (ich bitte um Hinweise auf elegantere Bezeichnungen!):
In einem weiteren Bewusstwerdungsschritt habe ich Ihnen vorgeführt - gleichgültig, für welches Format des Papiers Sie sich jeweils auch entscheiden werden -, dass es sog. 
"Hot Spots", 
"Focal Points" oder 
markante Kompositions- und Gestaltungspunkte 
auf einem Zeichenblatt gibt, die von selbst existieren, ohne Zutun des Zeichners - Kraft- und Gravitationsfelder, Kondensationspunkte gleichsam, die aber vom Zeichner bei der Platzierung der Zeichengegenstände mehr oder weniger erkannt und bewusst eingesetzt werden sollten. 
Simpelstes Beispiel: Blattmittelpunkt. Oder: Ecken. 

Claude Lorrain beispielsweise, Landschaftsmaler und -zeichner des Barock, hat grundsätzlich immer bei der Anlage auch der komplexesten Komposition, zunächst stur ein Raster in 3 Zonen horizontal und vertikal angelegt und tatsächlich recht genau entlang der Schnittpunkte seine Hauptelemente gesetzt - auch wenn man dies dem fertigen Gemälde am Ende nicht ansieht.



Es ist z.B. mehr oder weniger beliebte Praxis der kunstgeschichtlichen Bildinterpretation, insbesondere bei Bildern mit zu vermutenden tieferen Botschaften, sorgfältig die Aufteilungs- und Platzierungsachsen eines Bildes zu analysieren, da diese Zusammenhänge, Hierarchien, Nebenthemen, besonders bedeutsame Objekte und deren Bedeutung entschlüsseln helfen. D.h. schon immer haben traditionell Künstler nie "aus dem Bauch" und "irgendwie" die Dinge eines Bildes vorgeführt, sondern immer bedeutsam organisiert. Das gilt, wenn auch mit anderer Bedeutung, genau so für abstrakte Kunstwerke, die durchaus von bewährten Ordnungsmustern Gebrauch machen.
  
Zu Beginn bitte ich Sie deshalb, sich erst einmal ebenso stur und auffällig diese markanten Punkte zu konstruieren und ihre Kompositionen daran zu orientieren. Wenn Ihnen der Sachverhalt mit der Zeit immer klarer wird, werden Sie sich von der Sturheit der Raster ohnehin von selbst lösen.
Also:  Erst Regel erkennen und anwenden - dann aber wieder Freiheit finden.
D.h. gewöhnen Sie sich allmählich daran, dass der kreative Prozess aus einem Dialog regelbestätigender und regelbrechender Prozeduren besteht, Ordnung und Zerstörung in Wechselwirkung.

Ich habe Ihnen zunächst 2 einfache Formen der Aufteilung demonstriert:

- Die Konstruktion über fortgesetzte Halbierungen (es entsteht ein symmetrischer 4er Rhythmus)

- Die Drittelregel, die ein vereinfachter Goldener Schnitt darstellt, bei dem Höhe und Breite eines Zeichenformats in 3 gleiche Teile geteilt werden und die Schnittpunkte verschobene und dadurch dynamischere Zentren bilden können. (Auch in der Fotografie gern angewandt: "Rule of the Thirds", wer dazu mehr wissen möchte, sollte diesen Begriff dem Link folgend bei wikipedia nachlesen.)

Mit diesen sehr einfachen Gedanken haben Sie ein praktisches Werkzeug, alle Arten von Kompositionen Ihrer Zeichnung, aber auch der Malerei und Fotografie zu organisieren und Ordnung und Beziehung auf der Bildfläche zu herzustellen. Darum geht es in erster Linie, wenn von Bildkomposition die Rede ist. Mit der Ordnung lenken Sie den Blick des Betrachters und erzählen Ihr Anliegen, indem Sie die Dinge in Beziehung zueinander setzen.


PRAXIS (1h 45Min): 
Ziel des Abends bzw. zu Hause zu vollenden: A4 Stilleben „Birne oder Apfel auf  Teller und Tisch“ in Kohle und Kreide auf Grau oder abstrakter formuliert: Organische Form auf geometrischer Form in helldunklem Raum. Jede Lösung zwischen klassischer und völlig abstrakter Formulierung ist OK.


Herangehensweise simuliert mit Google Sketchup 3D:














Spiel: (ca. 20 Min.)
1) Warmup auf eigene Faust (5 Min Linien, Bögen)

2) Skizzieren Sie mit einfachen Mitteln mehrere unterschiedliche Formate auf ein Blatt (Quadrat, DinBlatt, Goldener Schnitt, frei und extrem) und teilen Sie diese Flächen nach den oben genannten Regeln in statische, symmetrische und dynamische Felder, die Sie durchaus auch kombinieren können.
Es sollten sich Rhythmen von unterschiedlich grossen Flächen ergeben, je nach Teilungsregel.
(15 Min. Linien und Flächen)

Studium: (ca. 25 Min.)
Aus dem Fundus aus Grundformen,  Alltagsgegenständen, Früchten, Stoffen und Papieren stellen Sie ein möglichst einfaches Stilleben zusammen, bereiten mit dem Sucher und mehreren 2- oder 3-wertigen Daumennagelskizzen möglichst klare und interessante Kompositionen des Stillebens vor.

Werk: (1 Std.)
Die beste Skizze der oben vorbereiteten Stilleben setzen Sie in Schwarz (Kohle) und Weiss (Kreide) auf mittelgrauem Papier (min. A4) so um, dass Sie das Stilleben innerhalb  eines bewusst gewählten und aufgeteilten Formats zeichnen (von Quadrat bis extremes Hoch- oder Querformat).




Bitte zur nächsten Stunde mitbringen:
- Falls Sie bereits Kohle- und Kreidestifte haben sollten
- Schmirgelpapier um 120er Korn
- Malkleidung oder -hemd, es wird ein wenig schmutzig nächstes Mal
- 1 alte Zeitung
- Küchenkrepp
- ggf. Haushaltshandschuhe
- A4 Papier aller Art
- Schere

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